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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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seiner
»Kompanie« in Friedenszeiten, und schon bald gab er die Befehle.
    Das bedeutete nicht, daß er in
Anzug und Krawatte im Büro gesessen hätte, auch wenn er sich Fuhrunternehmer
nannte. 1946 hatte die Firma praktisch nicht mehr existiert, und um (wie er
sich ausdrückte) das Geschäft auf Vordermann zu bringen, mußte er bis in
die Nacht hinein arbeiten. Er war Fahrer, Mechaniker, Schreiner und Schweißer
(er baute und reparierte Lastwagenkarosserien), und er erledigte auch die Buchhaltung
und verschickte die Rechnungen. Das war der Preis einer Tätigkeit, bei der er sein
eigener Herr sein konnte; allerdings war er auch seine eigene ausgebeutete
Belegschaft. Albert führte seine Anordnungen aus und arbeitete ebenfalls
schwer, aber nie so besessen wie mein Vater, für den das Geschäft sehr schnell
zum Lebensinhalt wurde. Mit der Firma konnte er sich in der Welt von Hanmer
etablieren, in der bisher kein Platz für ihn gewesen war. Im Dienst des
Geschäfts konnte er all die praktischen Fähigkeiten einsetzen, die er sich beim
Militär angeeignet hatte (er war eine Zeitlang Transportfeldwebel gewesen),
ebenso wie das taktische Talent, das ihm als Infanterieoffizier im Krieg so
gute Dienste geleistet hatte. Mit unerschöpflichem Einfallsreichtum
koordinierte er die Aufträge der Kleinbauern — zwei Kälber hier, eine Kuh, die
keine Milch gab da, drei Färsen und ein halbes Dutzend Schafe dort — , so daß
alles in einer einzigen Fuhre zum Markt nach Oswestry, Whitchurch oder Malpas
gebracht werden konnte. Und wenn es eine Panne zu beheben galt, und sei es in
eiskalter Nacht an einer einsamen Landstraße, war er vollends in seinem
Element.
    Doch was die menschlichen,
sozialen und kommerziellen Aspekte des Geschäfts anbelangte, türmten sich immer
neue Hindernisse vor ihm auf. Als er weitere Lastwagen anschaffte, brauchte er
Fahrer, und es waren kaum Leute zu finden — ausgenommen ehemalige Soldaten — ,
die zu seiner Zufriedenheit die Rolle der Untergebenen spielten. Er war ein
fürsorglicher Arbeitgeber, der in einer Flaute niemals Leute entlassen hätte,
und entsprechend entrüstet und enttäuscht war er, wenn sie darauf bestanden,
nach Tarif bezahlt zu werden. Der lässige Albert tat sich mit dem Personal und
auch mit den Kunden wesentlich leichter. Er kannte die soziale Landkarte — wer
wie mit wem verwandt war — wie seine Westentasche und klatschte gern über
Hochzeiten, Beerdigungen und Testamente. Mein Vater dagegen hatte — wörtlich
und bildlich — keine Zeit für so etwas. Er wußte nie, in welchem Ton er
mit den Bauern reden mußte, und er hatte sehr wenig für Methoden wie
Dumpingpreise und Schmiergelder übrig, die ihm Vorteile gegenüber der
Konkurrenz verschafft hätten. Er war der Meinung, der Beste müsse siegen und
werde auch siegen, in einem Entscheidungskampf mit dem gerechten Gott der freien
Marktwirtschaft als Schiedsrichter, der ihm sein redliches
Geschäftsgebaren anrechnen und ihn dafür loben würde, daß er sich an die
Spielregeln hielt.
    Und so wuchs das Geschäft, doch
wie durch Hexerei florierte es nicht. Aber das war auch nicht der Sinn der
Sache. Der Hauptzweck bestand darin, das Bild meines Vaters von sich selbst
aufrechtzuerhalten — der kleine Geschäftsmann, der Realist. Ende
der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre wurde Realismus zur allgemeinen Parole.
Onkel Bill, der Bruder meiner Mutter (er war Funker bei der Luftwaffe gewesen,
aber am Boden), war sozialistischer Realist, und wenn er zu Besuch kam, roch es
im Haus nach kaltem Krieg. Für Bill war Verstaatlichung ein erster zaghafter
Schritt zur Übergabe der Macht an das Volk, für meinen Vater dagegen war sie
gleichbedeutend mit Paragraphenreiterei und einer Brigade von Bürohengsten und
Kriechern, denen die richtige Arbeitshaltung fehlte, die sich nicht
ins Zeug legen wollten und die sich, wenn etwas schiefging, immer aus
der Verantwortung stehlen konnten.
    Er triumphierte, als sich die
Labourregierung gegen die Verstaatlichung des Viehtransportwesens entschied,
weil es zu regional und unübersichtlich und ohnehin zu fest in der Kultur der
Tory-Grafschaften verwurzelt war. Dabei hätte er, wären A. Stockton
& Sons von British Road Services geschluckt worden, einen
hervorragenden Bezirksleiter abgegeben und sich zweifellos auch dort
hochgedient. So gab es kein Entrinnen vom Geschäft, Dad war das
Geschäft. Sein üblicher Tonfall war eine Art selbstgerechtes Brüllen, und auch
als wir ein Telefon bekamen,

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