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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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zu ihnen gesellen würde, auch wenn er nicht sicher war, wo sein junger Freund gerade steckte. Er setzte sich und betrachtete misstrauisch den Teller Nudelauflauf vor sich auf dem Tisch. Er hegte Zweifel über die Herkunft dieses Fraßes.
    »Also, Nappy«, sagte Peter, während er in seinem Essen herumstocherte, »kannst du mir verraten, was ein Soldat der Großen Armee an einem schönen Tag wie diesem gegessen hätte?«
    Napoleon hatte mit Feuereifer seinen Auflauf attackiert und sich die zähe Masse wie ein Kolbentriebwerk mit vollen Gabeln in den Mund geschaufelt. Peters Frage hemmte sein Tempo, und er hielt einen Moment inne, um darüber nachzudenken.
    »Rinderpökelfleisch«, sagte er dann, »das bei den hygienischen Verhältnissen damals ziemlich gefährlich war. Oder gepökeltes Schweinefleisch. Und natürlich Brot. Das war ein Hauptnahrungsmittel, genauso wie Hartkäse, den man in einem Tornister bei sich hatte. Dazu Rotwein, glaube ich, oder Wasser aus der nächstbesten Quelle oder einem Fluss. Wenn sie sich etwas Essbares suchen mussten, was nicht selten war, griffen sie sich einfach auf einem nahe gelegenen Bauernhof ein Huhn oder eine Gans, die sie entweder am Spieß brieten oder auch kochten.«
    »Und wenn sie in die Schlacht zu ziehen hatten? Vielleicht eine besondere Mahlzeit zu diesem Anlass?«
    »Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Sie schoben meistens Kohldampf und gelegentlich, wie in Russland, verhungerten sie auch. Der Nachschub für die Armee war immer ein Problem.«
    Peter hielt ein undefinierbares Stück Fleisch, angeblich vom Huhn, vor sich hin und fragte sich, ob er von diesem Auflauf hier gestärkt in die Schlacht ziehen könnte.
    »Mal ehrlich, Nappy, hältst du dich für verrückt?«, fragte er unvermittelt.
    Der mollige Mann hielt wieder inne, so dass eine stattliche Portion triefender Nudeln etwa fünfzehn Zentimeter vor seinem Mund plötzlich in der Schwebe hing, während er seine Antwort abwog. Einen Moment später ließ er die Gabel auf den Teller sinken und seufzte. »Ich denke schon, Peter«, sagte er ein wenig traurig. »An manchen Tagen mehr, an anderen weniger.«
    »Erzähl mir ein bisschen davon«, bat Peter.
    Napoleon schüttelte den Kopf, und damit verließ ihn offenbar der letzte Rest seines gewohnten Enthusiasmus. »Die Medikamente kontrollieren die Wahnvorstellungen, weitgehend zumindest. Wie zum Beispiel heute. Ich weiß, dass ich nicht der Kaiser bin. Ich weiß nur viel über den Mann, der Kaiser war. Und darüber, wie man eine Armee befehligt. Und was 1812 passiert war. Heute bin ich nichts weiter als ein gewöhnlicher Historiker in der Provinzliga. Aber ich kann nicht sagen, wie es morgen ist. Vielleicht leg ich sie rein, wenn sie mir heute Abend meine Medizin geben. Du weißt schon, ich schieb sie mir unter die Zunge und spucke sie später aus. Es gibt ein paar recht effiziente Taschenspielertricks, die hier drinnen so ziemlich jeder schnell drauf hat. Oder vielleicht reicht die Dosis nicht ganz aus. Auch das kommt vor. Die Schwestern müssen so viele Tabletten auf einmal ausgeben, dass sie nicht ganz so sorgfältig darauf achten, wer was kriegt, wie sie vielleicht müssten. Und da haben wir dann den Salat: Es gehört nicht viel dazu, damit sich eine Wahnvorstellung einnistet und Blüten treibt.«
    Peter überlegte einen Moment, bevor er fragte: »Fehlen sie dir?«
    »Fehlt mir was?«
    »Die Wahnvorstellungen. Geben sie dir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, so dass du dich, wenn sie weg sind, gewöhnlich fühlst?«
    Er lächelte. »Ja, manchmal. Aber sie tun auch weh, und nicht nur, weil du siehst, wie sie deiner Umgebung Angst machen. Die Fixierung kann so stark werden, dass man damit nicht mehr fertig wird. Sie ist dann wie ein Gummi in deinem Kopf, das immer stärker gespannt wird. Du weißt, dass es zu einem Punkt kommt, wo es reißen muss, aber während du denkst, gleich platzt es und dein ganzes Inneres quillt über, dehnt es sich einfach noch ein kleines bisschen weiter. Du solltest C-Bird danach fragen, ich glaube, der versteht mehr davon.«
    »Mach ich.« Wieder zögerte Peter, und in dem Moment sah er, wie Francis sich behutsam seinen Weg durch den Saal bahnte, um sich zu ihnen zu setzen. Der junge Mann bewegte sich ganz ähnlich, wie es Peter von der Patrouille in Vietnam in Erinnerung hatte, nie sicher, ob man beim nächsten Schritt auf eine Mine trat. Francis manövrierte sich zwischen Streitereien und Wutausbrüchen hindurch, wurde ein wenig nach

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