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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Pfingstrosen, Schleierkraut, Veilchen und Tulpen waren aus dem dunklen Boden gesprossen. Mit seinen unregelmäßigen Flächen und bunten Farbtupfern, die, ohne ein erkennbares Ordnungsprinzip, wild blühend in alle Richtungen strebten, stand der Garten dem Chaos in ihren Köpfen kaum nach. Francis starrte ein wenig ungläubig auf das Beet und wurde sich angesichts der Blumenpracht bewusst, wie trübselig ihr Leben tatsächlich verlief. Doch die Freude über das üppige Wachstum vor seinen Augen vertrieb diesen bedrückenden Gedanken.
    In wenigen Sekunden hatte Big Black eine Reihe bescheidene Gartengeräte verteilt. Es war Kinderspielzeug aus Plastik und nicht eben ideal für die anstehende Arbeit, doch immerhin besser als gar nichts, wie Francis fand. Er ließ sich neben Cleo plumpsen, die ihn kaum wahrzunehmen schien, und machte sich daran, die Blumen etwas mehr in Reih und Glied zu ordnen und die explodierenden Farben ringsum ein wenig zu bändigen.
    Francis merkte nicht, wie lange sie arbeiteten. Selbst Cleo, die immer noch Obszönitäten vor sich hinmurmelte, legte offenbar etwas von ihrem Stress auf Eis, auch wenn sie gelegentlich schluchzte, während sie im feuchten Lehmboden grub und scharrte. Mehr als einmal sah Francis, wie sie nach einer der zarten Blüten die Hand ausstreckte und sie, Tränen in den Augen, berührte. Fast alle Patienten legten kleine Pausen ein und ließen die schwere, feuchte Erde durch die Finger rieseln. Es lag ein Geruch nach Erneuerung und Wachstum in der Luft, und Francis hatte das Gefühl, dass ihm dieser Duft mehr Optimismus verlieh als irgendeines der Antipsychotika, die sie ständig schluckten.
    Als Big Black schließlich erklärte, der Ausflug sei zu Ende, starrte er auf den Garten zu seinen Füßen und musste zugeben, dass er bedeutend besser aussah. Fast sämtliches Unkraut, das die Blumenbeete überwucherte, war gejätet, und die Blumenreihen hatten Konturen bekommen. Es war, dachte Francis, ein bisschen wie der Anblick eines halb fertigen Gemäldes. Man erkannte den gestalterischen Willen und das Potenzial.
    Nur halbherzig versuchte er, den Dreck ein wenig von den Händen und den Kleidern zu schütteln, denn er hatte nichts gegen dieses Gefühl, schmutzig zu sein, jedenfalls nicht an diesem Nachmittag.
    Big Black ließ die Leute hintereinander antreten und legte, unter dreimaligem Durchzählen, die Plastikgeräte in eine grüne Holzkiste zurück. Als er gerade das Zeichen geben wollte, den Pfad entlang wieder zum Amherst zurückzumarschieren, hielt er mitten in der Bewegung inne, und Francis sah, wie der Blick des großen Pflegers zu einer Gruppe wanderte, die sich ungefähr fünfzig Meter von ihnen entfernt hinter einem Drahtzaun am äußersten Rand des Anstaltsgeländes versammelte.
    »Das ist der Friedhof«, flüsterte Napoleon. Dann verstummte er genauso wie die anderen.
    Francis erkannte Dr. Gulptilil und Mr. Evans sowie zwei leitende Mitarbeiter, sodann einen Priester mit Stehkragen und mehrere Arbeiter in der grauen Uniform der Krankenhausverwaltung, die entweder Schaufeln trugen oder sich auf die Stiele ihrer Geräte lehnten und auf eine Anweisung warteten. Noch während die Gruppe sich versammelte, hörte Francis einen tuckernden Dieselmotor und sah einen kleinen Tieflöffelbagger, der sich der Stelle näherte, wo sich die Gruppe versammelt hatte. Hinter dem Bagger kam ein einsamer schwarzer Cadillac-Kombi angefahren, in dem Francis erschrocken einen Leichenwagen erkannte.
    Der Leichenwagen hielt an, und der Bagger fuhr weiter. Big Black murmelte: »Vielleicht sollten wir gehen«, blieb jedoch wie angewurzelt stehen. Die anderen Patienten stellten sich in eine Reihe und sahen zu.
    Der Bagger brauchte nur wenige Minuten, um mit dem gebührenden Lärm ein Loch im Boden zu graben und einen bescheidenen Erdwall daneben anzuhäufen. Die Leute vom Wartungsdienst der Klinik arbeiteten an den Rändern mit ihren Schaufeln, um das Loch vorzubereiten. Francis sah, wie Gulp-a-pill vortrat, die Arbeit inspizierte und den Männern Zeichen gab, mit der Arbeit aufzuhören. Dann wies er mit einem zweiten Winken den Leichenwagen an, vorzufahren. Nachdem er ein, zwei Meter von dem Loch entfernt gehalten hatte, stiegen zwei Männer in schwarzen Anzügen aus und gingen nach hinten, um die Hecktür aufzumachen. Vier der Wartungsleute kamen ihnen zur Hilfe, und zusammen zog diese bunt gemischte Gruppe einen schlichten Metallsarg aus dem Laderaum. Die späte Nachmittagssonne glänzte matt

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