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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Sekunden den Pistolenkolben in der Hand gehalten hatte, wurde plötzlich schlaff und locker. Ihre Bewegungen waren unglaublich langsam, als würden sie von Stricken und Ketten gehemmt. Sie versuchte, die Pistole auf den Pfleger zu richten, solange der letzte Funken Willenskraft in ihr brüllte: Schieß! Schieß!, doch von einer Sekunde zur anderen war die Waffe und damit alle Sicherheit verloren. Sie hörte sie auf dem Boden klappern und fühlte, wie sie selbst vom Stuhl fiel und aufs Linoleum aufschlug, wo sie nichts weiter schmeckte als den salzigen Rückstand von Blut.
    Es schien die letzte Wahrnehmung, die außer den Sturzbächen an Schmerzen geblieben war. Explosionen blitzten grellrot vor ihren Augen. Sie war plötzlich taub gegen die Geräusche. Sie hatte nur noch den Gestank der Angst in der Nase, der alles andere überlagerte. Sie wollte um Hilfe rufen, doch die Worte schienen so fern und unzugänglich wie jenseits einer tiefen Schlucht.
    Und so war es passiert: Der Pfleger hatte urplötzlich den schweren Telefonhörer mit dem kurzen, geübten brutalen Aufwärtshaken eines Boxers Lucy gegen den Unterkiefer geschlagen und zugleich mit der anderen Hand durch die Luke gegriffen und ihre Jacke gepackt. Als sie zurückwich, hatte er sie mit roher Gewalt nach vorne gezogen und ihr Gesicht gegen das Trenngitter geschlagen, das zu ihrem Schutz da war. Er hatte sie zurückgeschubst und erbarmungslos noch dreimal gegen den Draht geknallt, um sie schließlich zu Boden zu werfen, wo sie mit dem Gesicht aufprallte. Die Pistole, die er ihr mühelos mit dem Telefonhörer aus der Hand geschlagen hatte, schlitterte quer über den Boden und blieb in einer Ecke der Pflegestation liegen. Es war eine Attacke von schwindelerregender Rasanz und Präzision. Ein paar Sekunden hemmungsloser Gewalt, eine Geräuschkulisse, die sich auf die kleine Welt, in der sie agierten, beschränkte. Eben noch hatte Lucy vorsichtig, taxierend die Hand an der Waffe gehabt, von der sie sich ausreichend Schutz erhofft hatte, und im nächsten Moment lag sie am Boden und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen mit Ausnahme einer einzigen schrecklichen Vorstellung:
Ich werde diese Nacht hier sterben
.
    Lucy versuchte, den Kopf zu heben, und durch den Schleier des Schocks sah sie, wie der Mann die Tür zur Pflegestation öffnete. Sie setzte alles daran, auf die Knie zu kommen, doch vergeblich. Ihr Kopf dröhnte von dem einzigen Wunsch, um Hilfe zu rufen, sich zu wehren, all die Dinge zu tun, die sie sich zurechtgelegt hatte und die vor kurzem noch so leicht durchzuführen schienen. Doch bevor sie die Kraft oder den Willen aufbringen konnte, etwas zu unternehmen, war er neben ihr. Ein brutaler Tritt in die Rippen presste die letzte Luft aus ihren Lungen, und Lucy brachte ein tiefes Stöhnen hervor, als der Engel sich über sie beugte und ihr Worte zuflüsterte, die sie in eine weitaus tiefere Panik stürzten, als sie sie für möglich gehalten hätte: »Weißt du nicht mehr?«, zischte er.
    Das wahrhaft Schlimme an diesem Moment, der all die schrecklichen Dinge in den Schatten stellte, die in den letzten Sekunden geschehen waren, das wahrhaft Schlimme war, dass sie, als sie diese Stimme so dicht an ihrem Ohr in einer Vertraulichkeit hörte, die nur Hass zum Ausdruck brachte, Jahre übersprang und sie unzweifelhaft wiedererkannte.
     
    Peter drehte sich mehrfach in beide Richtungen, um den Flur des Amherst-Gebäudes zu überblicken. Er drückte sein Gesicht an das kleine, drahtverstärkte Glasfenster. Er hatte nichts als Dunkelheit vor sich, und das Einzige, was darin zu erkennen war, waren ein paar fahle Lichtstreifen und ihre Schatten, in denen keinerlei Anzeichen für menschliche Aktivität zu erkennen waren. Er legte das Ohr an die Tür und versuchte, etwas durch den dicken Stahl zu hören, doch die solide Stärke machte seine Versuche zunichte, egal, wie sehr er die Ohren spitzte. Er konnte nicht sagen, was los war – falls etwas los war. Sicher wusste er nur, dass die Tür, die eigentlich offen bleiben sollte, jetzt fest verriegelt war und dass direkt hinter seinem Sichtfeld etwas passierte und er urplötzlich machtlos war. Er packte den Knauf und zerrte wütend daran, was nur einen kleinen ohnmächtigen Knall verursachte, der nicht einmal reichte, um jemanden von den anderen Männern in ihrem Arzneimittelschlaf zu wecken. Er fluchte und zog wieder.
    »Ist er das?«, hörte Peter hinter sich.
    Er fuhr herum und sah Francis stocksteif ein paar

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