Die Arena
übermäßig gebildeten Baumwollpflücker« nannte) hatte schließlich darauf bestanden, dass Big Jim zu einem Kardiologen im CMG in Lewiston ging. Der Kardiologe hatte ihm dringend zu einer Therapie geraten, die den unregelmäßigen Herzschlag ein für alle Mal beseitigte. Big Jim (der schreckliche Angst vor Krankenhäusern hatte) hatte gesagt, darüber müsse er erst mit Gott reden, das nenne man eine Gebetstherapie. Unterdessen nahm er seine Pillen und hatte in den letzten Monaten ganz gesund gewirkt, aber jetzt ... vielleicht ...
»Dad?«
Keine Antwort. Junior betätigte den Lichtschalter. Auch hier brannte die Deckenlampe nur flackernd, aber sie vertrieb den Schatten, den Junior für den Hinterkopf seines Vaters gehalten hatte. Er wäre nicht gerade untröstlich gewesen, wenn sein Dad den Löffel abgegeben hätte, aber insgesamt war er froh, dass es nicht heute Abend war. Es gab ohnehin schon allzu viele Komplikationen.
Trotzdem trat er mit den großen leisen Schritten einer vorsichtigen Cartoonfigur an den Wandsafe und war darauf gefasst, dass übers Fenster huschende Scheinwerferstrahlen die Heimkehr seines Vaters ankündigen würden. Er hängte das Gemälde ab, das den Safe verdeckte (Jesus hält die Bergpredigt), und stellte die Kombination ein. Das musste er zweimal tun, bevor sich der Griff drehen ließ, weil er zittrige Hände hatte.
Der Safe war mit Bargeld und Stapeln von pergamentartigen Bogen mit dem Aufdruck INHABERSCHULDVERSCHREIBUNG vollgestopft. Junior stieß einen leisen Pfiff aus. Als er ihn zuletzt geöffnet hatte - um einen Fünfziger für den letztjährigen Jahrmarkt in Fryeburg zu klauen -, war zwar schon reichlich Bargeld drin gewesen, aber nicht in solchen rauen Mengen.
Und keine INHABERSCHULDVERSCHREIBUNGEN. Er dachte an die Plakette auf dem Firmenschreibtisch seines Vaters: WÜRDE JESUS DIESEN DEAL BILLIGEN? Sogar in seiner Angst und Verzweiflung fand Junior noch die Zeit, sich zu fragen, ob Jesus irgendwelche Deals, die sein Dad heutzutage nebenbei laufen hatte, billigen würde.
»Egal, was er so treibt, ich muss mich um meine eigenen Geschäfte kümmern«, sagte er halblaut. Er nahm fünfhundert in Zwanzigern und Fünfzigern heraus, wollte die Tür schon schließen, überlegte sich die Sache anders und steckte auch einige Hunderter ein. Angesichts der unanständigen Fülle an Bargeld, die der Safe enthielt, würde sein Dad den Fehlbetrag vielleicht gar nicht bemerken. Und falls er's doch tat, verstand er womöglich, warum Junior das Geld genommen hatte. Und billigte es vielleicht sogar. Wie Big Jim immer sagte: »Gott hilft denen, die sich selbst helfen.«
In diesem Sinne bediente Junior sich mit weiteren vierhundert.
Dann schloss er die Safetür, verdrehte das Ziffernrad und hängte Jesus wieder an die Wand. Er schnappte sich eine Jacke aus dem Kleiderschrank in der Diele und verließ das Haus, während das Notstromaggregat röhrte und die Maytag Angies Blut aus seinen Klamotten spülte.
4
Im Haus der McCains war niemand.
Gottverdammt niemand.
Junior, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem mäßigen Schauer aus Ahornblättern herumlungerte, fragte sich, ob er seinen Augen trauen durfte: das Haus dunkel, Henry McCains 4Runner und LaDonnas Prius noch immer nicht zu sehen. Das erschien ihm zu gut, um wahr zu sein, bei weitem zu gut.
Vielleicht waren sie auf dem Stadtanger. Dort waren heute Abend viele Leute. Möglicherweise diskutierten sie über den Stromausfall, obwohl Junior sich an keine derartigen Versammlungen erinnern konnte, wenn die Lichter ausgingen; im Allgemeinen gingen die Leute nach Hause und mit der Gewissheit ins Bett, dass - außer es hatte ein Mordsding von einem Sturm gegeben - das Licht wieder brennen würde, wenn sie zum Frühstück aufstanden.
Vielleicht war der Stromausfall durch irgendeinen spektakulären Unfall von der Art ausgelöst worden, für die Fernsehnachrichten wegen einer aktuellen Meldung unterbrochen wurden. Junior erinnerte sich vage daran, dass irgendein alter Knacker ihn gefragt hatte - kurz nachdem Angie selbst einen Unfall gehabt hatte -, was passiert sei. Jedenfalls hatte Junior darauf geachtet, auf dem Weg hierher mit niemandem zu sprechen. Er war die Main Street mit gesenktem Kopf und hochgeschlagenem Kragen entlanggegangen (tatsächlich war er fast mit Anson Wheeler zusammengestoßen, als Anse das Sweetbriar Rose verließ). Die Straßenbeleuchtung war ausgefallen, und das half ihm, inkognito zu bleiben.
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