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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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geknüpft.
    Das metallische Geräusch hatte aufgehört. Auf der anderen Seite der Lichtung entdeckte Hadrian nun einen stämmigen Mann in grobem braunem Wollgewand, der ein altes Weihrauchfass an einer Kette hielt. Als er seine Kapuze zurückschlug, erkannte Hadrian den Mönch, doch Pater William schien ihn nicht zu erkennen.
    Der untersetzte Geistliche starrte ihn ungläubig an und bekreuzigte sich dann schnell.
    »Es heißt, hier würden Geister umgehen«, sagte er zögernd. »Sie schweben angeblich über dem Grat und beobachten die Stadt.«
    »Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich das vielleicht auch tun, alter Freund«, entgegnete Hadrian, »aber vorläufigstolpere ich noch genauso durch mein Leben wie all die anderen Sterblichen.«
    Der Mönch seufzte erleichtert auf, breitete die Arme aus und eilte auf Hadrian zu. »Erst gestern ist Emily bei mir gewesen und hat mich gefragt, ob ich an einem Abend dieser Woche wohl einen Gedenkgottesdienst für Sie abhalten würde.«
    Hadrian lächelte bekümmert und deutete auf die Schlinge. »War das ein Kind?«
    Doch sein Freund schien es nicht zu hören. »Kapitän Fletcher hat berichtet, man habe drei Tote aus dem See geborgen, und da Sie an Bord desselben Boots gewesen seien, müsse Ihr Leichnam wohl versunken sein. Er hat angeboten, bei der Gedenkfeier ein paar Worte zu sagen.«
    Hadrian blickte hinaus auf die weite gefrorene Seeoberfläche. Unweit des Hafens hatte man einen Kurs für die alljährlichen Rennen der Eissegler markiert. »Ich bin wie der Fisch, der immer wieder zurück ins Wasser geworfen wird. Zu zäh für den Verzehr.«
    »Zum Glück für Carthage, möchte ich behaupten«, sagte William.
    »Das, Pater, bleibt abzuwarten.« Hadrian zeigte noch einmal auf die Schlinge. »Ein Kind?«
    »Vor zwei Tagen. Die einzige Tochter eines Zimmermanns.«
    Hadrian wies auf das Weihrauchfass, aus dem immer noch wohlriechende Schwaden entwichen. »Das sehe ich zum ersten Mal.«
    »Unsere Gemeinde hat ein neues Mitglied. Er kommt ein- oder zweimal im Monat vorbei. Er sagt, man habe ihn gelehrt, dass die Seele ein Jahr am Ort des Todes verweile, bevor sie ins Paradies gelange. Ich habe ihn hier oben angetroffen, als er Späne aus Zedernholz verbrannt hat. Er sagte, der duftende Rauch würde die Geister des Waldes herbeirufen, damitsie dem Mädchen Gesellschaft leisten. Er hat erzählt, er selbst habe eine jüngere Schwester verloren und sein Onkel habe das für sie getan.«
    Pater Williams Glaube mochte erschüttert worden sein, doch er gab sich wenigstens noch Mühe. Sein fragender Blick schien um Hadrians Billigung zu bitten. Hadrian nickte langsam. »Wenn wir ihnen schon nicht helfen können, bevor sie hinüberwechseln, sollten wir zumindest danach alles tun, was in unserer Macht steht.«
    William seufzte. »Das Mädchen war letzte Woche hier und hat die Probe für irgendeine Aufführung geschwänzt, um mir zu helfen. Sie hat sich wieder nach Ihnen erkundigt und wollte wissen, ob Sie tatsächlich tot seien.«
    »Die Tochter des Gouverneurs? Sarah?«
    William nickte. »Als ich sagte, wir müssten wohl mit dem Schlimmsten rechnen, hatte sie Tränen in den Augen. ›Wie werden wir uns daran erinnern, wer wir waren?‹, hat sie mich gefragt. Dann fing sie an zu zittern, als wäre sie krank. Ich fragte, ob ich ihr helfen könne, aber da hat sie plötzlich gelacht und ist weggelaufen.«
    Der Mönch fing wieder mit der Runde um die Lichtung an und schwenkte das Weihrauchfass. Hadrian legte eine Hand auf den Baum. Bei einer ähnlichen Gelegenheit hatte Jonah sich mal laut gefragt, ob der Galgenbaum wohl den Schmerz des Toten fühle.
    »Haben Sie auf Ihrem Weg nach hier oben etwas Ungewöhnliches gesehen?«, fragte Hadrian nach langem Schweigen.
    »Noch ungewöhnlicher als acht Selbstmordbäume?«
    Die Frage schien Hadrian zu schwächen. Er ließ sich ermattet auf einem Felsen nieder. »Ich sagte ja, es würde noch ein Opfer geben. Ich habe Ihnen doch von der Karte erzählt. Und Sie haben die geheime Höhle gesehen«, sagte er.
    »Und ich bin seitdem jeden Tag hergekommen, um den nächsten Selbstmord zu verhindern.« Williams Stimme versagte ihm beinahe den Dienst. »Aber ich konnte nicht überall zugleich sein.«
    Hadrian ertappte sich dabei, dass er den aufsteigenden Rauchschwaden hinterherschaute. »Dieser Mann, der Ihnen von dem Rauch erzählt hat. Ist er immer allein?«
    »Manchmal bringt er ein oder zwei andere mit. Nicht immer dieselben. Sie sind alle groß, mit langem

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