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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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dunklem Haar.«
    »Woher kommen sie?«
    William zögerte. »Sie müssen Jäger sein. Sie betrachten alles mit großer Neugier, als würden sie Carthage noch nicht kennen.« Er zuckte die Achseln. »Manche meiner Schäfchen kommen nur wegen des Essens, das es nach dem Gottesdienst gibt. Manche mögen unsere Musik. Manche mögen mein Latein. Manche der Älteren sagen, sie können sich noch an die Geistlichen aus ihrer Jugend erinnern. Unter ihnen ist ein Jude aus New York. Er bringt uns Gebete auf Hebräisch bei. Wir werden eine Gruppe zum Galgen begleiten.«
    »Der Galgen steht noch?«
    »Noch? Buchanan hat ihn verstärken lassen und zur Dauereinrichtung erklärt. Auf der Plattform gibt es einen kleinen Unterstand für den Henker, und die Treppe ist überdacht. Aus der Ferne sieht das Ding wie ein Schrein aus.«
    »Sie verbrennen die Brücke und machen den Galgen zu einem Tempel«, murmelte Hadrian. »Wozu braucht er ihn?«
    »Na, wegen der Frau natürlich. Jonahs Mörderin.«
    »Aber sie ist weg, Pater.«
    William schüttelte betrübt den Kopf. »Es tut mir leid. Ich weiß, sie war eine Freundin von Ihnen. Der Gouverneur und der Richter haben gesagt, es sei völlig legal, auch wenn es zum ersten Mal passiert ist.«
    »Was ist zum ersten Mal passiert?«, fragte Hadrian mit einer schlimmen Vorahnung.
    »Ein Prozess in Abwesenheit der Angeklagten. Sie wurde bereits für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt, Hadrian. Buchanan hat ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Eintausend Dollar. Mehr als die meisten hier in einem Jahr verdienen. Er hat auf dem Platz eine Rede gehalten und versprochen, man würde ihr nach ihrer Überstellung an die Behörden binnen vierundzwanzig Stunden die Schlinge um den Hals legen.«
     
    Das heruntergekommene zweigeschossige Gebäude war vor vielen Jahren mal als Stall und Scheune errichtet worden, doch dann hatte die Stadt es übernommen und sich selbst überlassen. Es stand inmitten der Lagerhäuser, die zu den Geschäften der umliegenden Straßen gehörten. Die Reparaturwerkstatt in dem einstigen Stall war von außen durch nichts zu erkennen, und das Tor blieb bisweilen wochenlang geschlossen. Als es sich nicht öffnen ließ, kletterte Hadrian auf einen vertrauten Baum und überwand so die Grundstücksmauer. Ein großer zottiger Vierbeiner, der wie ein Elchhund aussah, kam schwanzwedelnd angelaufen.
    Hadrian sah, dass der weißhaarige Mann an der Werkbank Mühe zu haben schien, den Hammer zu heben, mit dem er gerade einen Streifen Metall glättete. Er legte eine seiner bunten Landkarten auf den Rand der Werkbank, gleich neben eine halbvolle Schale Nudeln mit Essstäbchen. Der Mann ließ den Hammer sinken, schob die Schale beiseite und nahm die Karte mit sichtlicher Freude genauer in Augenschein.
    »Du warst weg«, sagte er.
    »Ich komme immer zurück«, erwiderte Hadrian.
    Als Takeo Hamada seinem Besucher langsam das Gesicht zuwandte, milderte sich sein Blick, was für den stoischen Japanereinem Lächeln gleichkam. Die kalte Zigarette, auf der er herumkaute, hob sich keck.
    »Ich habe ein paar Fragen«, sagte Hadrian.
    »Natürlich hast du die.« Der jahrelange Tabakgenuss hatte Hamadas Stimme rau werden lassen. Er führte Hadrian zu der steilen Heubodentreppe, an deren Ende alle Antworten lagen, vorbei an der Stallbox mit dem Feldbett, auf dem Hadrian im letzten Sommer oft geschlafen hatte. Am oberen Treppenabsatz blieb er stehen, um eine Laterne zu entzünden, die Hadrian dann hielt, während er das Vorhängeschloss der Tür öffnete.
    Es gab hier oben immer noch Heureste, aber gelagert wurden hier bloß Bücher. Die Regale entlang der Wände waren so hoch, dass man die oberen Fächer nur mit Hilfe von Leitern erreichen konnte. Im Licht des einzelnen Fensters türmten sich zudem unglaublich hohe verstaubte, vergilbte Stapel. Hadrian und Jonah hatten oft Bände zur sicheren Aufbewahrung hergeschickt. Buchanan tolerierte die illegale Sammlung, weil sie strikt geheimgehalten wurde und weil er selbst mitunter Fragen hatte, die nur Hamadas Bücher beantworten konnten.
    »Am nordwestlichen Ufer gab es mal ein Kloster namens Sankt Gabriel«, sagte Hadrian.
    Hamada rollte die Zigarette zwischen den Lippen hin und her und betrachtete die Bücherberge. Dann wies er auf einen der Stapel unter dem Fenster und näherte sich ihm vorsichtig, als wären die Bücher lebendig. Er wählte den obersten Band aus.
    Es war ein Regionalalmanach, eine kommerzielle Publikation mit Straßenkarten

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