Die Asche der Erde
mich von den Städtern und ihren Scherereien fernhalten.«
»Wieso sollten Wades Männer dir den Fuß brechen?«
»Es war nichts. Ich kann laufen.«
Hadrian nahm einen Klotz und brachte ihn zu Nash. »Vielleicht sollte ich bleiben und dir helfen. Ich könnte zum Haus gehen und mich vorstellen.«
Nash verzog das Gesicht. »Kapitän Fletcher wollte etwas, das ich ihm nicht geben konnte. Er dachte, ich würde lügen, also musste er sichergehen.«
»Wade ist tot, Nash. Ich habe ihn getötet. Was hat Fletcher gewollt?«
Der junge Mann starrte ihn mit offenem Mund ungläubig an. Eine Frau kam aus dem Farmhaus. Ein wolfsähnlicher Hund lief von ihrer Seite los und auf Nash zu. »Ein Gemälde«, antwortete er mit nun dringlicher Stimme. »Es ging um einen Vorfall vom letzten Frühjahr. Er dachte, ich hätte bei der Gelegenheit ein Gemälde mitgenommen. Ich sagte denen, ich habe das Bild nicht angerührt. Ich hab nur kleine Sachen mitgenommen. Schmuck und Silberbesteck und so was.« Er sah zu dem Hund, der sie fast erreicht hatte. »Mein Gott, hauen Sie ab!«
»Was für ein Gemälde?«
»Vögel. Enten auf einem See.«
»Demnach hast du es gesehen?«
»Aber ich hab’s nicht angefasst. Die haben mich immer wieder danach gefragt. Dann haben sie mich zu Boden gedrückt und mit einem Hammer meinen Fuß bearbeitet. Nachdem der Knochen kaputt war, haben sie beschlossen, mir zu glauben.«
»Wer hat das Bild angefasst? Wer war mit dir dort?«
»Bitte, Mr. Boone. Meine Mutter wird es der Polizei melden, falls sie Sie sieht.«
Hadrian wich zurück in den Schatten.
»Es waren Enten«, rief Nash ihm hinterher. »Große Enten, die sich bei Sonnenaufgang in die Luft erheben.«
Hadrian ging nach Norden und blieb wegen der Patrouillen auf Wildpfaden. Dabei behielt er so aufmerksam die Straße im Blick, dass er die Trümmer erst bemerkte, als er beinahe über sie stolperte. Die Arbeiter hatten den Straßendamm angelegt und ihn dann noch etwa eine Woche ausgebaut. Sie waren mit dem Sockel der Brücke gut vorangekommen und hatten sogar zwei dicke Pfähle versenkt und die Rampe vorbereitet, die den Verkehr auf das einspurige Bauwerk leiten sollte. Doch nun war alles Asche.
Jonahs Brücke zwischen den Welten war abgebrannt.
Hadrian riss sich los und erklomm den nächsten Hügel. Dann folgte er der Kammlinie parallel zu einer Reihe von hohen Klippen. Als er die knorrigen Eichen und Ahornbäume am Fuß der Felswände sah, wurde er noch wehmütiger. Er betrachtete die weit hervorstehenden Äste. Dann fand er mit jähem Schmerz, wonach er suchte: den unverkennbaren Narbenring, wo das Seil die Rinde einst bis auf das blanke Holz heruntergescheuert hatte. Dax’ geheime Karte war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, seit Hadrian sie zum ersten Mal gesehen hatte. Hier musste sich der erste Selbstmord ereignet haben, ein elfjähriges Mädchen, vor drei Jahren. Eins.
Er ging schnell weiter und fand noch eine Stelle und noch eine. Zwei und drei. Auf den nächsten vierhundert Metern folgten Nummer vier und fünf. Hadrian versuchte vergeblich, gegen die Erinnerungen anzukämpfen und die Bilder in seinem Kopf beiseitezuschieben. Er kannte viele der Bäume von früher, denn er hatte die leblosen Körper der Kinder von ihnen abgeschnitten, die so sicher gewesen waren, sie könnten etwas Besseres als diese Welt finden. Er war so vielenheulenden Müttern und grüblerischen, gebrochenen Vätern begegnet, dass es inzwischen ganze Familien gab, die ihm geschlossen aus dem Weg gingen.
Hadrian hatte gerade erst den siebenten der Todesbäume gefunden, als er ein merkwürdiges metallisches Rasseln hörte. Er duckte sich hinter einen Felsen, weil er im ersten Moment an die Polizeipatrouillen dachte, erkannte dann aber, dass das Geräusch direkt vor ihm ertönte, zwischen den Bäumen. Genau aus Richtung des achten Baumes, der auf Dax’ Karte durch einen noch leeren Kreis bezeichnet gewesen war. Hadrian sprang auf und rannte los. Er würde auch diesmal wieder den Tod betrügen.
Er war so wild entschlossen, so irrational hoffnungsvoll, ein Leben retten zu können, dass er, als er die kleine Lichtung endlich erreichte, markerschütternd aufschluchzte und auf die Knie fiel. Die Stricknarbe war so frisch, dass immer noch Saft aus ihr tropfte. Auf dem Boden lag ein Stück Seil, das an mehreren Stellen zerhackt und ausgefranst war, weil jemand es offenbar hektisch mit einer Klinge bearbeitet hatte. Ein Ende war zu einer blutbefleckten Schlinge
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