Die Asche der Erde
seines Freundes gab Hadrian zu denken. Dann fiel ihm etwas auf. Es fehlte eines von Hamadas Familienmitgliedern. »Was ist mit deiner Hündin? Geht es ihr gut?« Die beiden großen struppigen Tiere waren schon seit mehr als zehn Jahren feste Bestandteile im Leben ihres Herrn.
Es dauerte lange, bis eine Antwort kam. »Sie war so sanft wie ein Kätzchen.« Takeo seufzte traurig. »Hat niemandem je ein Haar gekrümmt.« Er streichelte den Kopf des Hundes zu seinen Füßen. »Er hier bellt Fremde an, er ist ein Wächter. Sie ist immer gleich hingelaufen und hat jeden wie einen alten Freund begrüßt.«
Hadrians Magen zog sich zusammen. »Was ist passiert?«
»Es war vor knapp drei Wochen. Ich habe mitten in der Nacht einen Schrei gehört. Da müssen sie den ersten Nagel eingeschlagen haben. Bis ich da war, hatten sie sich schon aus dem Staub gemacht.« Hamada flüsterte nun, als solle das überlebende Tier nichts davon hören. »Sie haben sie ans Tor genagelt und ihr dann die Kehle durchgeschnitten.«
Hadrian war sprachlos. Er reichte Hamada ein Streichholz, damit dieser die Zigarette anzünden konnte. »Takeo«, sagteer schließlich, »als ich nach diesem Almanach gefragt habe, wusstest du sofort, wo er liegt. Er war ganz oben auf dem Stapel und doch kaum verstaubt.«
»Ich bin zu seiner Beerdigung gegangen, ich musste. Die hätte ich auf keinen Fall verpassen wollen.«
»Jonah? Jonah hat den Almanach benutzt?«
»Er ist dieses Jahr einige Male vorbeigekommen, meistens gestützt auf einen Jungen, wie ein müder Pilger. Er fing an, sich besonders für die Almanache zu interessieren.«
»Auch noch für andere, nicht nur für diesen?«
»Letzten Winter hat er einen ganzen Tag hier verbracht, hat Landkarten studiert und immer wieder die Almanache und alten Branchenverzeichnisse zurate gezogen.« Hamada nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und warf Hadrian einen Seitenblick zu. »Bist du sein Nachlassverwalter?«
Die Frage ließ Hadrian überlegen. »Ich wohl am ehesten, schätze ich.«
»Falls du es findest, kommt es wieder her.« Hamadas Worte klangen wie ein Befehl.
Hadrian neigte verwirrt den Kopf. »Heißt das, er hat ein Buch mitgenommen?«
»Bestimmt aus Versehen. Jonah wusste, wie wichtig es ist, die Bücher zusammenzuhalten. Aber er war der Einzige, der sich je für die Verzeichnisse interessiert hat.«
»Wann?« Hadrian hatte auf einmal das Gefühl, auf etwas Bedeutsames gestoßen zu sein. »Wann ist das Buch verschwunden?«
Hamada verzog das Gesicht. »Letzten Winter, vor dem Jahresendfest.«
»Was hat es abgedeckt? Welchen Landesteil?«
»Den Süden und Westen. Die alten Industriestädte.«
»Denk nach, Takeo, alter Freund. Jonah muss doch irgendwieangedeutet haben, weshalb diese Bücher plötzlich so wichtig für ihn waren.«
»Er sagte, seine Frau habe mal in einem dieser Komplexe im Südwesten gearbeitet. In der Medizinforschung. Ich dachte, er würde sich ihr durch die Bücher in gewisser Weise näher fühlen. Ich bewahre den Lieblingsgedichtband meiner Frau neben meinem Bett auf.«
»Welcher Komplex? Hatte Jonah etwa vor, dorthin zu reisen?«
Doch Hamada wollte nicht mehr reden. Er schüttelte nur den Kopf, stand auf und schloss die Tür zum Heuboden ab, bevor er sich wieder setzte und den alten Hund streichelte. Seine Miene war die eines Kapitäns, der weiß, dass er bald mit seinem Schiff untergehen wird.
Das Globe Theater war wie eine stark geschminkte Schauspielerin, gekleidet im viktorianischen Stil. Die üppigen Schnitzereien erweckten den Anschein von Kultur, was gut zu den vielen Shakespeare- und Shaw-Inszenierungen passte. Hadrian wartete im Schatten neben der Bühne, während die Schüler im Anschluss an den Unterricht zu einer nachmittäglichen Probe hereinströmten.
An einem schwarzen Brett hingen der Spielplan der Saison und die Besetzungslisten. Weiter oben fand sich die verblichene Ankündigung eines Vortrags, den Jonah vor sechs Monaten gehalten hatte.
Wie Shakespeare die Bürger von Carthage erfunden hat
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Hadrian sah zu, wie die jungen Schauspieler nun kostümiert die Bühne betraten. Zwei Mädchen in Wämsern nahmen Holzschwerter und übten ein Duell. Ein Junge kam vorbei; er trug die untere Hälfte eines Affenkostüms.
Plötzlich merkte Hadrian, dass jemand neben ihm stand.
»Bist du ein Gott, ein Engel oder Teufel, der starren machtmein Blut?«, flüsterte eine Stimme. Sarah Buchanan lächelte verunsichert, aber in ihrem Blick lag Angst.
»Nicht dein
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