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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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empfindest.«
    Aus dem Unterholz erklang unruhiges, hungriges Geheul. Der Wolf knurrte einmal grimmig, und die Geräusche verstummten.
    »Wir sollten zurückgehen«, wiederholte Hadrian.
    »Ich kann nicht. Geh du. Du brauchst deinen Schlaf. Ich bin noch nicht fertig.«
    »Dann bin ich auch noch nicht fertig.«
    Nelly lächelte erneut und sah ihn an, als wäre es das erste Mal. »Leg die Waffe weg, Hadrian«, sagte sie sanft und bedeutete ihm, er solle sich mit übergeschlagenen Beinen und Rücken an Rücken mit ihr hinsetzen. Dann stimmte sie eine neue Litanei an. Nach den ersten paar Minuten ertappte er sich dabei, dass er unwillkürlich mitsummte, als würde etwas in ihm den Rhythmus erahnen, das Lied irgendwie erkennen. Er verlor jegliches Zeitgefühl. Er erkannte, dass andere Geräusche aus seiner Kehle kamen, wie aus eigenem Entschluss, und sich harmonisch in Nellys Stimme einfügten. Mitunter fuhren diese Geräusche sogar allein fort, wenn Nelly minutenlang aufhören musste, weil sie nur noch haltlos schluchzen konnte. Als Hadrian nach unten sah, schauten ihm auf seiner Seite des alten Lastwagens zwei kleinere Wölfe zu.
    Im Osten waren die ersten Vorboten der Dämmerung zu sehen, als Hadrian sich schließlich umdrehte, Nelly eine Hand auf das Knie legte und sie verstummen ließ. Die Wölfe waren weg.
    »Wir hatten einst eine ganze Welt, nicht wahr?«, fragte sie mit heiserer Stimme. »Jetzt wird alles dunkel.«
    »Nicht alles, nicht für uns«, sagte er und half ihr auf die Beine. »Das hast du doch gewiss nicht vergessen.«
    »Vergessen?«
    »Du, ich und Jonah. Wir sind diejenigen, die zürnen, dass das Licht wird schwach.«

K APITEL FÜNFZEHN
    Sie waren noch dreißig Meter vom Eingang der Fabrik entfernt, als ein Pfeil einen Felsblock neben ihnen traf und explodierte. Eine große muskulöse Gestalt trat aus den Schatten vor und legte den nächsten Pfeil auf die Bogensehne. Sebastian umrundete die Gruppe wortlos und wirkte dabei eher belustigt als beunruhigt. Jori und Hadrian gingen voran, die Hände mit den eigenen Schnürsenkeln gefesselt. Hinter ihnen folgte Nelly mit Joris Revolver. Dax bildete die Nachhut und hielt den Baseballschläger, den sie in der Tiefgarage gefunden hatten.
    »Ich war traurig, als ich hörte, Sie seien umgekommen«, sagte der Erstgeborene zu Hadrian.
    »Ich auch. Ich wollte am Leben bleiben, um mich bei Ihnen dafür zu revanchieren, dass Sie ein Betäubungsmittel in meinen Tee geschüttet haben.«
    Sebastian grinste. »Sie hatten etwas Schlaf nötig.«
    Hadrian fand es aus irgendeinem Grund schwierig, den Mann nicht zu mögen. »Ich dachte nicht, dass man uns mit einem Artilleriesalut begrüßen würde«, sagte er und wies auf den geschwärzten Felsen.
    Sebastian zog einen der seltsamen Pfeile aus seinem Köcher. »Die hat Kinzler sich ausgedacht. Gut geeignet, um die Wölfe zu verscheuchen. Die gibt’s hier nämlich massenweise.« Der Pfeil hatte keine gewöhnliche Spitze, sondern endetein einer Hülse, aus der eine Schrotpatrone ragte. »Beim Aufprall wird der Boden der Patrone auf einen Bolzen geschlagen und dadurch gezündet. Shenker nennt das ein Spielzeug.«
    Nelly stieß Hadrian auf den Eingang zu.
    »Sie können da nicht rein«, warnte Sebastian.
    Nelly richtete sich auf. »Natürlich kann ich«, sagte sie in ungewohntem Befehlston. »Sie wissen verdammt gut, dass ich dem Tribunal von New Jerusalem angehöre, Sebastian. Einer Ihrer vielen Brüder hackt mein Brennholz. Ich habe wichtige Nachrichten für Kinzler. Diese beiden sind mir gefolgt, als ich aus Carthage geflohen bin, also haben der Junge und ich ihnen eine Falle gestellt. Sie müssen verhört werden.« Sie legte eine Hand auf den Türgriff.
    Sebastian stellte einen Fuß gegen die Tür und musterte die Frau ernst. »Ich habe Sie letzte Nacht gehört«, sagte er zu Nelly. »Als mein Bruder Nathaniel mir von Ihren Liedern erzählt hat, habe ich ihm nicht geglaubt. Er sagte, die Toten der alten Welt würden durch Sie sprechen.« Er klang wohlwollend und neugierig zugleich.
    »Heute spreche ich für das Tribunal. Wo ist Kinzler?«
    »Sie haben ihn verpasst. Er und die anderen bringen eine Lieferung für Sauger. Die bisher größte, auf die alle gewartet haben. Kinzler ist gestern von hier aufgebrochen und will sich mit Fletcher im Hafen treffen.«
    »Dann übernehmen Sie meine Gefangenen und lassen mich ausruhen, bevor ich mich auf den Weg mache, um ihn einzuholen.«
    Sebastians skeptischer Blick wanderte zwischen

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