Die Asche der Erde
Gemüsegarten zu riechen, bevor er ihn hineinbat. In den letzten Jahren hatte Jonah die meisten Tage und viele Nächte in seiner Bibliothekswerkstatt zugebracht, aber dies hier war sein Zuhause gewesen – und die Geburtsstätte der Kolonie.
Hadrian blieb stehen, wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute zurück den Pfad hinauf. Als er vom Friedhof in die Stadt gegangen war, war auch der Polizist in Zivil wieder aufgetaucht und ihm mit einem halben Block Abstand gefolgt. Als Hadrian sich bei einer Gelegenheit umgewandt hatte, hatte der Kerl gerade mit einem anderen Mann in Alltagskleidung geredet. Hadrian hatte sich seitlich in eine Gasse geduckt, über mehrere Schleichwege die Richtung gewechselt und schließlich auf der anderen Seite des Hügels den Wald erreicht. Nun war der Pfad hinter ihm leer. Mit erleichtertem Seufzen öffnete er die Tür und erstarrte.
Der verderbliche Einfluss des Menschen hatte die Hütteletztlich doch erreicht. Der Boden war mit dem Inhalt der Regale und Schubladen bedeckt, und die meisten Möbel hatte man in Stücke gehauen. Die Küche, das Wohnzimmer und die Schlafräume waren alle verwüstet worden. Hadrian stellte einen Stuhl wieder hin, sackte darauf zusammen und barg das Gesicht in den Händen. Das hier war sein einzig möglicher Zufluchtsort gewesen, hier hatte er gehofft, noch einmal die stärkende Anwesenheit seines Freundes spüren zu können. Stattdessen fühlte es sich so an, als wäre er auf den zweiten Teil von Jonahs Ermordung gestoßen. Es war, als hätten die Täter den alten Wissenschaftler nicht nur unter die Erde bringen, sondern seine gesamte Existenz zu Staub zermahlen und im Wind verstreuen wollen.
Einen Moment lang stand Hadrian wieder an dem Grab, zu dem er eine Stunde nach der Feier zurückgekehrt und vor Schmerz auf die Knie gesunken war. Er hatte sich irgendwie entschuldigen wollen. Denn die Abschiedsbotschaft der Kolonie an Jonah war die sinnlose Verprügelung und Festnahme der beiden Ausgestoßenen gewesen, darunter ihre alte Freundin Nelly. Hadrian hatte unwillkürlich die Finger in die frisch aufgehäufte Erde gesteckt, als wolle er nach seinem verlorenen Freund greifen, und war dabei unvermutet auf etwas gestoßen, das dort nicht hingehörte. Etwas aus mattgrauem Plastik. Der Gegenstand war so fremdartig, dass Hadrian ihn verwirrt anstarrte, nachdem er ihn an die Oberfläche geholt hatte. Er hielt ein kleines Telefon in der Hand, das schon zum Zeitpunkt des großen Wandels der Welt ein veraltetes Modell gewesen sein musste. Jemand hatte insgeheim ein Mobiltelefon mit Jonah begraben. Doch Hadrian hatte das Grab aus der Ferne im Blick behalten, während die Menge sich zerstreute, und niemanden gesehen, der dort etwas versteckt hätte.
Hadrian wusste nicht, wie lange er nun schon in JonahsHaus saß, und der Gedanke an das Telefon trug nur zu seiner Verzweiflung bei. Schließlich wurde er sich bewusst, dass er fror und die Schatten hier im Wohnzimmer merklich länger geworden waren. Er entzündete erst eine Kerze und dann ein Feuer in dem steinernen Kamin und fing an, die Hütte aufzuräumen.
Er ging ganz in der Tätigkeit auf, fegte die Trümmer zusammen, trug sie hinaus und warf sie am Rand des Gartens auf einen Haufen. Doch damit nicht genug. Nachdem er die Spuren der Täter beseitigt hatte, füllte er einen Eimer an der Handpumpe im Spülbecken, nahm Lappen und Seife und putzte fieberhaft die Fenster. Als ihm Tränen in die Augen stiegen, arbeitete er nur umso angestrengter und verlor sich in Erinnerungen an frühere Tage in diesem Haus.
Dann leerte er den Eimer in der Nähe des kleinen Kräutergartens aus. Hadrian hielt inne. Er musste wieder an die Spiegelschrift unter der Tischplatte in der Bibliothek denken.
Quaere verum imprimis
. Suche zuerst die Wahrheit. Doch vielleicht hatte er das falsch interpretiert. Womöglich meinte es: Suche die Wahrheit unter den ersten Dingen, also am Ort des Ursprungs. Er ließ den Eimer fallen, rannte zum Kamin und strich mit den Fingern über die Fugen an der Seite des Schornsteins, bis er den losen Stein gefunden hatte. Er zog ihn heraus und holte dahinter einen Schlüssel hervor, der in ein Stück Leder gewickelt war.
Mit einer Laterne ging er die Felswand hinter der Hütte entlang und steckte die Hände immer wieder durch den hängenden Pflanzenbewuchs, bis er nach fast einer Viertelstunde endlich die Stelle fand, die nicht aus natürlichem Fels, sondern aus gemauerten Steinbrocken bestand. Er und
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