Die Aspern-Schriften (German Edition)
sie mir gestattete, ihr wieder meine Aufwartung zu machen.
Einen Moment lang ließ sie den Blick auf mir ruhen, dann sagte sie: »Ist es wirklich notwendig für Ihr Glüc k ?«
»Es bereitet mir mehr Freude, als ich sagen kann.«
»Sie sind so wunderbar höflich. Ist Ihnen nicht klar, dass es mich fast umbring t ?«
»Wie kann ich das glauben, wenn ich sehe, dass Sie jetzt belebter, strahlender aussehen als bei meiner Ankunf t ?«
»Das ist wirklich so, Tante«, sagte Miss Tina. »Ich glaube, es tut Ihnen gut.«
»Ist es nicht anrührend, wie sehr wir uns darum sorgen, dass der andere sich auch gut amüsier t ?« spottete Miss Bordereau. »Wenn Sie mich heute für strahlend halten, wissen Sie nicht, wovon Sie reden; dann haben Sie noch nie eine attraktive Frau gesehen. Was wissen Sie beide schon über gute Gesellschaft ? « rief sie aus; doch bevor ich darauf antworten konnte, fuhr sie fort: »Versuchen Sie nicht, mir Komplimente zu machen; damit bin ich im Übermaß verwöhnt worden.« Und sie fügte an: »Meine Tür ist verschlossen, aber von Zeit zu Zeit dürfen Sie anklopfen.«
Damit entließ sie mich, und ich verließ den Raum. Der Riegel fiel hinter mir ins Schloss, aber Miss Tina war, entgegen meiner Hoffnung, drinnen geblieben. Ich schritt langsam durch den großen Saal, und bevor ich meinen Weg die Treppe hinab fortsetzte, blieb ich ein Weilchen stehen. Meine Hoffnung erfüllte sich; nur wenige Augenblicke später kam meine Begleiterin heraus. »Zur Piazza, das ist eine wundervolle Idee«, sagte ich. »Wann möchten Sie fahren – heute Abend, morge n ?«
Sie war aus der Fassung geraten, wie ich schon erwähnt habe, doch hatte ich bereits bemerkt und konnte dies erneut beobachten, dass sich Miss Tina, wenn sie sich peinlich berührt fühlte, nicht – wie die meisten Frauen es in vergleichbaren Fällen getan hätten – abwandte, unter Windungen und um sich zu schützen, sondern im Gegenteil näher kam, und das hatte sogar etwas Flehendes, etwas Anklammerndes, als wollte sie den andern anrufen, sie zu verschonen und zu beschützen. In ihrem Verhalten lag ein ständiges Bitten um Hilfe und Erklärung, und dennoch gab es wohl keine Frau auf dieser Welt, die weniger von einer Schauspielerin an sich hatte. Von dem Moment an, da man freundlich zu ihr war, machte sie sich völlig abhängig von einem; ihre Befangenheit verschwand und sie hielt die größte Vertraulichkeit, eine unschuldige Vertraulichkeit, die sie sich einzig vorstellen konnte, für selbstverständlich. Sie wüsste nicht, erklärte sie dann, was in ihre Tante gefahren sei, dass sie sich so plötzlich verändert habe, ihr müsse irgendetwas in den Sinn gekommen sein. Ich erwiderte, dass sie ergründen müsse, um was es sich handelte, und mich dies wissen lassen: Wir würden dann zusammen ausgehen, ein Eis bei Florian essen, und sie könne mir davon berichten, während die Kapelle für uns spielte.
»Es wird gewiss eine Zeit lang dauern, bis ich Ihnen etwas ›berichten‹ kan n !« sagte sie mit Bedauern in der Stimme; sie könne mir dieses Vergnügen weder für den heutigen Abend noch für den nächsten versprechen. Ich war keineswegs ungeduldig, denn ich spürte, dass ich nur warten müsste; und so geschah es tatsächlich, denn am Ende der Woche, an einem herrlichen Abend nach dem Essen, stieg sie zu mir in die Gondel, an der ich eigens für diese Gelegenheit ein zweites Ruder angebracht hatte.
Es dauerte kaum fünf Minuten, schon glitten wir auf den Canal Grande hinaus; leise brachte sie ihre Begeisterung zum Ausdruck, die etwas so Frisches hatte, als wäre sie eine soeben angekommene Touristin. Sie hatte vergessen, wie grandios die Wasserstraße an einem klaren Sommerabend wirkte und wie sehr das Gefühl beim Dahintreiben zwischen Marmorpalästen und Lichtreflexen den Geist für Freiheit und Gelassenheit empfänglich machte. Lange glitten wir dahin und fuhren weit hinaus, und wenn meine Freundin ihrer übermütigen Stimmung auch nicht mit lauter Stimme Ausdruck gab, war ich mir doch sicher, dass sie sich ihr völlig hingegeben hatte. Sie war mehr als erfreut, sie war entzückt; die ganze Unternehmung bedeutete für sie eine gewaltige Befreiung. Die Gondel glitt mit langsamen Ruderschlägen dahin, um ihr Zeit zum Genießen zu lassen, und sie lauschte dem Plätschern der Ruder, das lauter und rhythmisch deutlicher vernehmbar wurde, als wir in die engen Kanäle hineinfuhren, und es muss ihr vorgekommen sein wie eine Offenbarung Venedigs.
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