Die Aufrichtigen (German Edition)
glauben das! Alle!«
Er senkte sein Haupt und fügte leise hinzu. »Und ich bin es doch auch. Ich trage die Schuld daran – Schuld an allem!«
Leo richtete sich auf, so gut es ging. Dass Sophie ihn finden könnte, war ein allzu kühner Wunsch. In welche Gefahr würde sie sich bringen! Er hatte es schon immer reichlich lächerlich gefunden, wenn die Kinohelden in der allergrößten Todesangst die coolen Herren des Geschehens blieben. Doch nun fühlte er, dass etwas die Angst unterdrückte und ihn einigermaßen selbstsicher erscheinen ließ. Der Pater schien Leo gar nicht mehr wahrzunehmen, sondern sprach leise zu sich selbst.
»Nie war ich wie du, Ernst, nie konnte ich dich erreichen. Statt dessen habe ich mich selbst gefangen in meiner Kraft, habe mich selbst getäuscht. Dabei wäre alles gut gewesen, hätte dieser Bastard dich mir nicht weggenommen!«
Er versetzte Dr. Albertz, der noch immer nicht wieder zu sich gekommen war, einen Tritt mit dem Fuß, wie man nach einer Katze tritt.
»Wie alt musste ich werden, um mir das einzugestehen? Ausgerechnet ich soll dir so etwas angetan haben – ausgerechnet ich!«
»Wer hat Ihren Bruder dann getötet?«
Leo erinnerte sich daran, was Dr. Albertz ihm einmal gesagt hatte. ›Wenn Sie nicht wissen, ob jemand Sie anlügt, Blum, und es kommt darauf an, dann stellen Sie einfache, direkte Fragen. Das lässt den Lügner am ehesten zusammenbrechen.‹ Doch der Pater kam auf Leo zu und sah ihn böse an.
»Sie haben doch gar keine Ahnung! Was mischen Sie sich andauernd ein? Können Sie sich im Entferntesten vorstellen, was dieser Mann all die Jahre gelitten hat?«
»Wegen Mariechen, meinen Sie?«, fragte Leo vorsichtig.
Der Pater nickte.
»Er hat das Gutachten doch nur wegen ihr gefälscht, weil ihm die Propaganda Fide dafür die katholische Taufe versprochen hat!«
»Dann sag‘ unserem jungen Freund auch, wer die Kirchenstrafe gegen Ernst beantragt hat, obwohl er mir versprochen hat, dass es dazu nicht kommen würde!«
Dr. Albertz hatte sich mühsam aufgerafft.
»Willst du noch immer nicht schweigen, du Bastard!« schrie er und sprang auf Dr. Albertz zu.
Er holte mit der Eisenstange zum Schlag aus. Dr. Albertz zuckte zusammen. Doch plötzlich ließ der Pater die Hand sinken.
»Du hast es für Geld getan, vergiss das nicht!«, sagte er bitter. »Ich tat es für Gott, um Ernst zu zeigen, wozu die römische Kirche fähig ist. Ich wollte ihn für uns gewinnen, für die Kirche der Heiligen. Wenn er von Rom erst einmal verbannt worden wäre, so hätte er Zuflucht und Heimat bei uns gefunden. Wie sollte ich denn ahnen, dass es so weit kommt!«
»Was ist geschehen?«, fragte Leo leise.
Er empfand beinahe Mitleid mit dem gewaltigen Mann.
»Seine Frau, Marie, hat ihm nie verziehen, dass das kleine Mädchen, das er Mariechen nannte, ungetauft gestorben ist. Weil Ernst exkommuniziert worden war, weigerte sich der Klinikgeistliche, das Kind zu taufen. Er vertrat die Auffassung, ein exkommunizierter Vater könne nicht für das Kind die Taufe begehren. Ein paar Jahre später, als Marie an Brustkrebs erkrankte, bat sie mich um Rat. In vielen schweren Stunden fasste sie den Entschluss, nicht gegen ihre Krankheit anzukämpfen, sondern es in Gottes Hände zu legen, ob sie überleben oder ihrem Töchterchen nachfolgen sollte.«
»Lachhaft!«, rief Dr. Albertz. »Du hast sie dazu gebracht, du hast ihr eingeredet, dass sie sich opfern muss, wie ein Märtyrer, um das tote Kind wieder zu finden. Du hast Ernst alles genommen, seinen Glauben, sein Kind und seine Frau! Dies hat ihn zum Feind der Kirche gemacht, dies hat ihn wie besessen gegen sie anschreiben lassen. Er gab den Erzfeind jeder Religion – und bedurfte ihrer doch mehr als alle!«
Pater Donatus wehrte sich nicht, er weinte. Seine Tränen waren als Einziges klar zu erkennen.
»Dafür hat er mich gehasst«, bestätigte er, »gehasst bis in den Tod!«
Leo lief ein Schauer den Rücken hinab. Noch hatte er nicht alles verstanden, noch war nur diese bange Ahnung in seinem Herzen und die Furcht davor, den Schleier endgültig zu lüften.
»Warum wollte Professor Spohr getauft werden?«, fragte er.
Der Pater sah ihn an.
»Noch nie hat ein Mann, ein ernster, gefährlicher Mann, eine Frau so sehr geliebt, wie Ernst Spohr diese Marie geliebt hat, eine kleine Studentin, nichts weiter. Er wollte nach seiner Tochter sehen. Vor allem anderen aber wollte er zu ihr, zu seiner Frau! Sich mit ihr aussprechen, sie um Verzeihung bitten.
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