Die Aufrichtigen (German Edition)
saß voller Ungeduld im Wagen und wartete lange auf seinen Schüler. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er musste nach dem Rechten sehen. Schon bereute er, einen so schwachen Charakter mit einer so schwierigen Mission betraut zu haben. Er ging durch den Garten um das Haus herum, zu dem Esszimmerfenster, durch das Maiorinus ins Haus steigen sollte. Gerade in diesem Augenblick sprang jemand heraus. Es war zu dunkel, um ihn zu erkennen. Pater Donatus drückte sich an die Mauer, ehe er nach ein paar Atemzügen um die Ecke zu spähen wagte. Es musste Maiorinus sein, der an seiner Jacke zerrte und gleich darauf in die Hecke sprang. Der Pater wagte nicht, ihn anzurufen. Statt dessen lief er zum Fenster, wo er einen Stofffetzen an der zerbrochenen Fensterscheibe hängen sah. Eine warme Flüssigkeit klebte daran. Die Fensterbank war voll davon! Doch es war viel zu dunkel, um etwas zu erkennen. Also steckte er den Finger hinein und leckte vorsichtig daran. Blut! In Jesu‘ Namen, was war geschehen? Hatte der Junge seine Weisung so missdeutet? Und die Papiere! Er durfte auf gar keinen Fall mit den Papieren entkommen! So ein schwacher Geist konnte alles Mögliche damit anstellen. Nicht auszudenken, wenn sie in die falschen Hände gerieten! Im nächsten Augenblick stand der Pater an der Hecke, teilte sie mit den großen Händen und sah seinen Schüler an der Laterne kauern. Doch er war für ihn verloren. Ein Spaziergänger mit einem großen Schäferhund tauchte auf, legte seine Hand auf die Schulter des Jungen, beugte sich zu ihm herab und redete auf ihn ein. Maiorinus reagierte nicht, der Passant half ihm vom Boden auf. Der Schäferhund hob den Kopf, schaute zur Hecke und schlug an. Noch ehe der Spaziergänger forschen konnte, was sein Hund gewittert hatte, war Pater Donatus im Esszimmerfenster verschwunden.
Circumcellionen
Auf der Synode von Arles im Jahr 314 entschied Kaiser Konstantin den Streit um den Bischofssitz von Karthago zugunsten der katholischen Kirche. Zum Dank unterstützten sie seine Politik und seine Kriege. Der Dienst im römischen Heer wurde zur Christenpflicht erklärt. Die Donatisten verfolgt, ihre Besitztümer eingezogen, ihr Führer, Donatus der Große exkommuniziert. Es kam zum blutigen Aufstand, weil die Donatisten gar nicht daran dachten, sich dem Urteil der Synode zu beugen. Sie wehrten sich gegen die Anbiederung von Kirche und Staat und beharrten darauf, dass Sakramente nur von würdigen Männern gespendet werden konnten.
Besonders blutigen Widerstand leistete die Gruppe der Circumcellionen, Saisonarbeiter auf den nordafrikanischen Olivenplantagen, die nach dem Martyrium strebten, auf den Gräbern der Märtyrer Orgien feierten, rituelle Massenselbstmorde veranstalteten und die katholischen Priester und ihre Familien oder Donatisten, die konvertieren wollten, massakrierten. Es war ihre Spezialität, die Opfer mit den Knüppeln zu Tode zu prügeln, die sie sonst bei der Olivenernte brauchten.
Manche sehen in ihnen Sozialrevolutionäre, die sich gegen die römische Herrschaft auflehnten, andere deuten ihre Verbrechen als Antwort auf die Verfolgung der Donatisten durch die römische Kirche.
Sicher ist, dass die Circumcellionen religiöse Fanatiker waren, die es darauf anlegten, in Erfüllung ihrer vermeintlichen Mission den Märtyrertod zu sterben. Sie verstanden sich als Soldaten Christi, als heilige Kämpfer und rechtfertigten die abscheulichsten Gräueltaten mit ihrem Glauben. Sie unterschieden sich durch nichts von heutigen Gotteskriegern.
E.A.S.
Karfreitag, 11 Uhr 33; der Friedhof
Am Morgen wusste Julia nicht, ob sie wach lag oder träumte. Das Rauschen des Kirschbaumes war zurückgekehrt, das Flüstern ihrer Mutter. Die logischen Erklärungen, die sie für die früheren Mädchenfantasien gefunden hatte, waren zu nichts nütze. Sie ließ sich in die Geborgenheit des Traumes fallen, so wie damals, als sie sich von ihrer toten Mutter in den Schlaf gesungen glaubte.
Nicht denken, kleine Julia, nicht denken! Vertraue mir nur diese eine Nacht. Die Welt geht nicht unter, wenn man sich ein wenig treiben lässt. Wer weiß, vielleicht können wir uns wirklich wiedersehen. Wenn du es dir wünschst, kann es in Erfüllung gehen. Alles geht in Erfüllung, was man sich wünscht. Hast du das etwa vergessen? Warst noch so klein, als ich‘s dir sagte. Hätte besser auf dich achten müssen, hätte dich nicht mit ihm alleine lassen dürfen. Hätte ihn in den Arm nehmen müssen, mit ihm weinen, irgendwann
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