Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hooper
Vom Netzwerk:
sie eine Vollempathin ist.«
    »Darauf würde ich tippen.«
    »Und wenn sie keine heilende Empathin ist … kann sie sich selbst nicht heilen? Sie würde einfach nur die Verletzungen und die Schmerzen absorbieren und mit dem anderen mitleiden?«
    Quentin zögerte erneut. »Ich bin mir nicht sicher, John. Wir haben bisher noch keinen Vollempathen gefunden, wir haben nur Theorien dazu aufgestellt. Aber wenn man bedenkt, wie schnell die klaffende Wunde an Maggies Kehle ›geheilt‹ ist, würde ich sagen, sie ist vermutlich eine heilende Empathin. Interessant wäre noch zu wissen, ob es bei ihr eine automatische Fähigkeit ist, die einfach durch Berührung ausgelöst wird, oder ob sie sich darauf konzentrieren muss. Hoffen wir Letzteres, denn dann hat sie eine gewisse Kontrolle darüber.«
    John atmete tief durch. »Und jetzt erklär mir mal, wie sie eine aufgeschlitzte Kehle von einem leeren Zimmer absorbieren konnte, ja?«
    »Samantha Mitchell ist in diesem Zimmer gestorben. Vor kurzem – und auf grauenvolle Weise. Sie muss höllische Schmerzen und Qualen gelitten haben – von der panischen Angst ganz zu schweigen. Diese Gefühle, diese Energie hing noch in dem Raum. Maggie konnte dazu in Verbindung treten, sie hat wirklich angefangen mitzuerleben, was diese sterbende Frau durchgemacht hatte.« Seufzend fügte Quentin hinzu: »Ob sie sich nun zu einer Vollempathin entwickelt oder nicht, ich glaube, Maggies Organismus ist ganz besonders empfänglich für just diese Todesfälle, weil sie mit ihnen in Verbindung steht, auf eine ganz … grundlegende Weise.«
    »Schicksal. Vorsehung.«
    »Ja. Ob diese Opfer allesamt Seelen sind, die Maggie früher gekannt hat, oder ob sie vielmehr mit seiner abscheulichen Seele in Verbindung steht, das kann ich nicht sagen. Vielleicht weiß sie es.«
    John saß in Maggies stillem Wohnzimmer und betrachtete das Bild über dem Kamin. Er sagte: »Vielleicht frage ich sie. Aber ich hoffe, sie schläft noch ein paar Stunden. Hör mal, ich glaube, sie sollte jetzt nicht allein sein, deshalb bleibe ich erst mal hier. Wenn irgendwas vorfällt, wenn sich irgendwas ändert oder euch Jungs was einfällt, was wir unbedingt wissen müssen, ruf mich an, ja?«
    »Mache ich. Das Wetter wird schlechter, ich erwarte Kendra und Jennifer also jede Minute zurück, und Scott auch. Wenn schon sonst nichts, haben wir immer noch die Liste der Kfz-Behörde mit den schwarzen Caddys, die wir durchgehen können. Irgendwo gibt es bald einen Durchbruch, das weiß ich. Ich habe da dieses Kribbeln im Nacken, und das bedeutet normalerweise, dass das Ende einer Sache kurz bevorsteht.«
    »So oder so?«
    »Ja. So oder so.«
    Nachdem sie sich verabschiedet und das Gespräch beendet hatten, ging John zum Kamin und betrachtete das Gemälde aus nächster Nähe. Die Signatur in der unteren Ecke war ein Krakel, doch er konnte ihn entziffern. Rafferty. Beau Rafferty. Ein Werk ihres Bruders.
    Kein Wunder, dass der Stil des Gemäldes ihm bekannt vorgekommen war. Er besaß selbst zwei Raffertys. So jung er noch war, galt der Mann bereits als einer der talentiertesten Künstler, die das Land in den letzten hundert Jahren hervorgebracht hatte. Beinahe im Alleingang hatte er dafür gesorgt, dass impressionistische Malerei in der Kunst des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts wieder eine wichtige Rolle spielte.
    Ein Künstler, der Meisterwerke malte, welche die ganze Welt begeisterten, und eine Künstlerin, die gütig mit traumatisierten Verbrechensopfern sprach und danach von den Tätern gespenstisch akkurate Skizzen anfertigte, mit denen die Polizei sie zur Strecke bringen konnte.
    Zwei talentierte Künstler mit ein und derselben Mutter, beide einzigartig begabt. Er fragte sich, was für ein Mensch ihre Mutter gewesen sein mochte. Eine Person mit starken übersinnlichen Fähigkeiten wie auch eine begabte Künstlerin? Waren übersinnliche Fähigkeiten überhaupt erblich?
    Er kam zu dem Schluss, dass er sich hier selbst etwas vormachte. Das alles hatte ihn sehr aus dem Gleichgewicht gebracht. John sah aus dem Fenster in den zunehmend grauen trüben Nachmittag und begab sich daran, es sich gemütlich zu machen. Er schaltete das künstliche Kaminfeuer ein, und als das Feuer im Kamin fröhlich prasselte, stellte er auch den Fernseher leise an: eine Nachrichtensendung, mehr zur Gesellschaft und als Hintergrundgeräusch denn aus einem echten Bedürfnis nach Nachrichten heraus.
    Für den Augenblick hatte er genug Neuigkeiten

Weitere Kostenlose Bücher