Die Augen
betäubt, oder sie schlief tief und fest, und er versuchte auch nicht, sie zu wecken. Er stand lediglich da und betrachtete sie lange mit freudlosem Blick, reglos.
»Sir? Sie sollten nicht hier sein.« Die Stimme der Krankenschwester war leise, doch voller Autorität.
Quentin sah sie an, sah, wie sie einen halben Schritt zurückwich, und bemühte sich, die Wildheit, die sie, wie er fürchtete, in seiner Miene gesehen hatte, abzumildern. Er lächelte beruhigend. »Ja, ich weiß. In Ordnung. Ich gehe schon.«
Zögernd meinte die Schwester: »Sie kommt in Ordnung, Sir.«
»Ja. Danke, Schwester.« Er warf einen letzten Blick auf Kendra, dann ging er wortlos aus dem Zimmer.
Er ging direkt zu seinem Mietwagen auf dem Parkplatz in der Nähe der Notaufnahme. Er ließ den Motor an, fuhr jedoch noch nicht los. Lange saß er so da, dann nahm er sein Handy und tippte Bishops wohlvertraute Nummer ein.
Jennifer goss sich noch eine Tasse Kaffee ein. Sie hatte Angst, innezuhalten und sich auszurechnen, wie viele Tassen sie in den vergangenen Tagen zu sich genommen hatte. Es war gerade sechs Uhr morgens an diesem kalten, trüben Donnerstag im November, und sie hatte genügend Koffein intus, um bis Weihnachten wach zu bleiben.
Sie rechnete ohnehin nicht damit, bis dahin zum Schlafen zu kommen.
Scott kam herein, er sah ebenso erschöpft aus wie die anderen, allerdings beträchtlich staubiger. »Wenn ich nie mehr eine Akte sehen muss«, verkündete er, »ist das noch viel zu früh.«
Jennifer verspürte Gewissensbisse. »Ich hätte dir helfen sollen, Scott. Entschuldige.«
»Mach dir keine Sorgen.« Er grinste. »Ich revanchiere mich schon noch.«
»Die Frage ist doch«, schaltete sich Andy ein, »hast du irgendwas Brauchbares gefunden?«
Triumphierend antwortete Scott: »Ich habe endlich herausgefunden, was 1894 passiert ist. Na ja, in gewisser Weise zumindest.«
Quentin, der am Konferenztisch vor Kendras Laptop saß, sah ihn voller Respekt an. »Wie zum Teufel haben Sie das gemacht? Die Datenbanken haben überhaupt nichts ausgespuckt.«
»Geben Sie mal Boston ein«, riet Scott.
»Kendra ist die Expertin für dieses Teil«, versetzte Quentin und starrte finster auf den Laptop. »Aber ich versuch’s.«
Andy fragte: »Was hast du rausgefunden, Scott? Und wie?«
Scott runzelte die Stirn. »Das Wie war ziemlich einfach. Ich habe diesen Karton durchsucht, in dem alle möglichen verschiedenen Akten waren. Da drin habe ich den Polizeibericht über das siebte Opfer von 1934 gefunden.« Er schlug die Mappe auf, die er bei sich trug, und zog ein Foto einer jungen Frau mit dunklen, lockigen Haaren und eindrucksvollen dunklen Augen heraus. Ein kurzer Blickwechsel genügte, um zu bestätigen, dass sie ihnen allen völlig unbekannt war.
Andy seufzte. »Warum habe ich bloß gehofft, wenigstens einer von uns würde das Gesicht des nächsten potenziellen Opfers erkennen und wir könnten irgendwas tun, bevor er sie sich schnappt?«
»Wunschdenken«, meinte Jennifer. »Es war halt ziemlich unwahrscheinlich, Andy, das weißt du doch.«
»Ja.« Er beobachtete, wie Scott das Foto an der Pinnwand an die entsprechende Stelle in der Reihe der Opfer von 1934 heftete, dann fragte er: »Aber sie wurde hier umgebracht stimmt’s, in Seattle? Und wie hast du dann etwas über Boston und 1894 rausgefunden?«
»Einer der in den 1934er-Fällen ermittelnden Polizisten hat eine Notiz zu den Akten getan, offenbar mehr aus Frust als aus irgendeinem anderen Grund. Er schreibt, er hätte alles versucht, was ihm eingefallen sei, um das Schwein zu finden, das die jungen Frauen von Seattle umbringt. Er hätte sogar sämtliche Angehörigen der Opfer überprüft, obwohl keiner ein Motiv gehabt hätte – weil nämlich sein Vater, der auch Cop gewesen war, ihm von ein paar Morden vierzig Jahre vorher in Boston erzählt hatte. Diese Bostoner Morde sahen denen hier geradezu unheimlich ähnlich, zumindest im Hinblick auf das, was den Opfern angetan worden war.«
Quentin sah ihn stirnrunzelnd an. »Und warum hat der Cop sich dann auf die Angehörigen kapriziert?«
»Weil der Bostoner Mörder offenbar der Bruder zumindest eines Opfers gewesen war.« Scott zuckte mit den Achseln. »Er geht da nicht weiter ins Detail, er schreibt nur, es hätte da auch Unterschiede gegeben, aber er war verzweifelt, er war willens, alles zu versuchen, also hat er die Angehörigen überprüft.«
»Und?«
»Tja, nichts mehr in dieser Akte. Da sind noch mehr, die ich durchsehen
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