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Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hooper
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erlebt – was immer es sein mag – für sie sehr real ist. Aber warum tut sie das? Warum unterzieht sie sich dieser Art traumatischer Erfahrungen, dieser Art Leiden?«
    »Das haben Sie mich mehr oder weniger schon letzte Woche gefragt. Ich kenne die Antwort nicht, John, aber ich wette, wenn Sie das je herausfinden, dann haben Sie, den Schlüssel zum Verständnis von Maggie Barnes.«

9
    Gleichgültig, was Maggie John erzählt hatte – sie hatte nicht vor, am Montagabend nochmals auszugehen, nicht nach diesem Tag. Doch ein paar Stunden Ruhe, ein heißes Bad und eine heiße Suppe sorgten dafür, dass sie wieder viel stärker bei sich selbst war. Und ruhelos.
    Sie war es gewohnt, allein zu sein – mehr oder weniger. Ihr Vater war noch vor ihrer Geburt gestorben, und Beaus Vater hatte den Schauplatz nicht lange nach dessen Geburt verlassen. Mit Alaina Barnes Rafferty verheiratet zu sein war nicht leicht gewesen. Ihr Sprössling zu sein ebenso wenig.
    Weder Maggie noch Beau trugen ihr irgendetwas nach. Sie hatte sie beide geliebt, daran hatten sie nie gezweifelt. Doch ihre künstlerischen Begabungen hatten ihr mehr Schmerzen denn Vergnügen bereitet, einen Großteil ihrer Zeit und Energie in Anspruch genommen und nur wenig für ihre Kinder übrig gelassen. Aus diesem Grund standen sie sich als Erwachsene wahrscheinlich auch so nahe: In ihrer Kindheit hatten sie sonst niemanden gehabt.
    Ihre unterschiedlichen Berufe sorgten dennoch dafür, dass sie und Beau einander manchmal wochenlang nicht sahen, und da praktisch sämtliche Freunde von Maggie Polizisten waren, die schwierige Arbeitszeiten hatten, war sie häufig genug allein, um damit leben zu können. Jedenfalls normalerweise. Doch nicht an diesem Abend.
    Sie ging in ihr Atelier, weil sie dachte, es täte ihr gut, eine Zeit lang zu arbeiten, doch da sie im Augenblick keinen Auftrag hatte und sich auch nicht besonders kreativ fühlte, ertappte sie sich irgendwann dabei, dass sie grübelnd auf die Leinwand starrte, die auf ihrer Arbeitsstaffelei stand – völlig leer bis auf einen vagen Umriss von langem Haar und ein verschwommenes Gesicht.
    Nicht identifizierbar.
    »Es entgleitet mir, das ist es«, murmelte sie.
    Die Zeichnung war praktisch das Duplikat derjenigen in ihrem Skizzenblock, wenige unsichere Linien, zu provisorisch, um irgendein Gefühl für die Person zu vermitteln. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er lange Haare hatte, sie vermutete lediglich, dass es so war, weil Hollis und Ellen Randall gespürt hatten, wie etwas in der Art über ihre Haut gestrichen war.
    Maggie hatte es auch gefühlt.
    Sie erzitterte und stellte die kleine Stereoanlage an, die sie im Atelier hatte. Leise, angenehme Musik erfüllte den Raum. Draußen war es dunkel, doch die Beleuchtung im Studio war ausgezeichnet, und die Musik machte den Raum warm und … sicher.
    Zumindest für den Augenblick.
    Maggie zog eine Grimasse, nahm die Leinwand von der Staffelei und ersetzte sie durch ein leere, saubere. Sie ging an ihren Arbeitstisch und wählte Pinsel und Farbtuben aus, mischte auf der Palette Farben an, ohne richtig über das nachzudenken, was sie hier tat.
    Als ihre Werkzeuge bereit waren, stand sie einen Augenblick vor der Staffelei und betrachtete die leere Leinwand, dann atmete sie tief ein und schloss die Augen. Beau meinte, sie könnte es, wenn sie es versuchte, wenn es ihr gelänge, ihren Fähigkeiten genug zu vertrauen, um ihre bewusste Kontrolle aufzugeben. Das war nicht leicht, und bisher hatte Maggie jedem Versuch widerstanden.
    Doch als sie nun mit geschlossenen Augen dort stand, der leisen Musik lauschte und ihren Kopf leerte, so gut es ging, da geschah etwas Seltsames. Es war beinahe, als triebe sie davon, als schliefe sie ein und begänne zu träumen. Der Traum war ganz friedvoll, mit leiser Musik im Hintergrund und dem nahen Geräusch ihres eigenen regelmäßigen Atems. Sie sah nichts als blauen Himmel, eine sich endlos erstreckende Fläche, die nur von flauschigen weißen Wölkchen unterbrochen wurde. Sie schien weit weg zu sein und sich mit jeder Sekunde weiter zu entfernen. Dennoch hörte sie immer noch die Musik, hörte sich selbst atmen, nahm die vertrauten Gerüche ihres Ateliers wahr.
    Es war eine sehr eigentümliche Erfahrung. Sie schien nur ein, zwei Sekunden zu dauern, dennoch hatte sie ganz stark das Gefühl, dass Zeit vergangen wäre, und als sie abrupt, mit einem sonderbaren unangenehmen Gefühl der Erschütterung wieder die Augen aufschlug, stand sie

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