Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hooper
Vom Netzwerk:
jenseits allen Wissens und Verstehens lagen, jenseits sogar der Fähigkeit der Fantasie, über das Verstehen hinauszugehen.
    Manche Dinge musste man wortwörtlich spüren, um sie zu verstehen.
    Über die breite Arbeitsplatte hinweg betrachtete er ihr ruhiges Gesicht mit den Augen, die einen nicht mehr losließen, und begriff endlich, warum Mitgefühl und gesteigertes Wahrnehmungsvermögen sich in ihre regelmäßigen, nicht wirklich schönen Züge eingeprägt hatten. Weil sie litt. Weil sie das Schlimmste verstand, was Männer und Frauen sich selbst, einander und ihren Kindern antun konnten, wie er es nie verstehen würde, nie verstehen könnte.
    Es dauerte eine geraume Weile, ehe er wieder sprechen konnte, aber schließlich sagte er: »Wenn all das … das kleine Böse ist, was in Dreiteufelsnamen ist dann das große Böse?«
    »Böses, das nicht stirbt.«
    John schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht. Alles stirbt irgendwann.«
    Maggie zögerte kurz. Offensichtlich rang sie mit sich, ob um Worte oder die Entscheidung, dies mit ihm zu diskutieren, hätte er nicht sagen können. »Wenn das Universum das … Gleichgewicht ist, ist das Böse die negative Kraft, der immer eine positive Kraft gegenübersteht, die es in Schach hält, zumindest in gewissem Maße. Aber was ist, wenn eine bestimmte positive Kraft an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Augenblick nicht tut, was sie tun soll, was beabsichtigt ist, wozu sie da ist. Dann gibt es da eine Macke, ein Stocken, einen Fehler. Und das entsprechende Böse wird dann durch nichts ausgeglichen, wird nicht durch etwas aufgehoben. Nichts hält es davon ab zu wachsen, mächtiger zu werden, sich seiner selbst sicherer.«
    »Bis?«
    »Bis nicht einmal der fleischliche Tod es zerstören kann.«
    »Der Körper stirbt – aber die negative Kraft darin überlebt? Wollen Sie das sagen?«
    »Ja. Sie überlebt. Sucht sich ein anderes Gefäß, sodass sie in einem neuen Körper wiedergeboren wird. Und zerstört wieder. Sie wird zu einem ewigen Bösen. Also ringt das Universum darum, das Gleichgewicht wiederherzustellen, weil Gleichgewicht sein natürlicher Zustand ist. Die positive Kraft, die jenes Böse aufheben soll, wird ebenfalls wiedergeboren und erneut ausgesandt, das zu tun, was sie schon beim ersten Mal hätte tun sollen.«
    »Sie sprechen von Reinkarnation.«
    Sie zuckte kaum merklich mit den Achseln, wandte den Blick jedoch nicht ab. »Ich spreche von Gleichgewicht. Einer negativen Kraft muss eine positive gegenüberstehen, um dieses Gleichgewicht zu erhalten oder wiederherzustellen. Wir sehen das immerzu in der Wissenschaft. Auf jede Aktion erfolgt eine entsprechende Reaktion.«
    John nickte. »Daran erinnere ich mich noch. Und es ergibt Sinn. Aber wir sprechen hier vom Bösen.«
    »Genau.«
    »Vom ewigen Bösen. Das ist das große Böse, das Sie gezeichnet haben? Etwas Böses, das nicht sterben will?« John hoffte wirklich, sein Unglaube klinge nicht in seiner Stimme durch, doch er fürchtete, dass er es nicht hatte verhindern können. Damit hatte er irgendwie nicht gerechnet.
    Zum Teufel, wem machte er hier etwas vor? Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet.
    Maggie sah ihn lange an, dann stellte sie ihre Tasse ab. »Ich kann Ihnen das Gesicht dieses Bösen nicht zeigen, weil ich es noch nicht sehen kann. Aber ich kann Ihnen zeigen … was es sieht. Was es tut.«
    Um ihm dies zu zeigen, wurde ihm klar, hatte Maggie ihn hergebracht.
    Sie ging um die Arbeitsinsel herum und bedeutete ihm, ihr zu folgen, als sie in ihr Atelier vorging. Es war ein sehr großer Raum, offenbar sachkundig an das ursprüngliche Haus angebaut, und es sah aus, wie die meisten Künstlerateliers aussahen: ein großer Arbeitstisch, auf dem die Materialien standen, Regale an einer Wand, auf denen verschiedenste Requisiten und Materialballen lagen. Es gab Kästen mit Leinwänden in verschiedenen Größen, eine Reihe vollendeter Gemälde, die an der Wand lehnten, jedoch in einem Winkel, in dem sie nicht richtig zu sehen waren – und eines auf der Staffelei in der Mitte des Ateliers.
    Sie warnte ihn nicht vor. Der Schock beim Anblick des Gemäldes war kalt, überwältigend, ging ihm durch und durch.
    »Mein Gott«, hörte er sich heiser sagen.
    »Ich wünschte, ich könnte es zerstören.« Sie lehnte am Arbeitstisch, die Arme so fest verschränkt, als wäre ihr kalt, und starrte das Gemälde unverwandt mit einer Intensität an, die beinahe schmerzhaft war. »Ich will es zerstören. Aber das

Weitere Kostenlose Bücher