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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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da. Es war schon Abend, als wir schließlich dort ankamen, und wir hätten es gesehen, wenn im Haus Licht gebrannt hätte. Es war keine Spur von Tyson oder dem jungen Mann oder irgend jemand sonst zu entdecken.
    Wir standen auf dem Rasen im hinteren Garten und spähten in einen Wintergarten mit Rauchglasfenstern, in dem eine riesige runde Badewanne stand. Der Himmel über uns verlor langsam seine Farbe.
    »Die haben die Stadt verlassen, und uns hat das Glück verlassen«, knurrte Yolanda.
    »Herrje.«
    Wir gingen um die Hausecke herum. Unter dem Giebel leuchtete eine kleine, helle Lampe auf. »Aha!« sagte ich.
    »Nichts aha«, erklärte Yolanda und schüttelte den Kopf. »Das soll nur Einbrecher abschrecken, Kind. Die Lampen gehen automatisch an, das macht ein Sensor. Muß vermutlich gerade dunkel genug geworden sein.«
    »Oh.«
    Wir kehrten zum Auto zurück, vorbei an dem angemalten Pflug, dem Wagenrad und der Kutsche, die nur zur Zierde dienten, wie ich nun erkannte. Die Gartenpforte war mit einem Vorhängeschloß gesichert, also mußten wir abermals hinüberklettern, wie schon auf dem Hinweg.
    »Ach, zum Teufel auch«, seufzte Oma Yolanda, als sie es sich auf dem Fahrersitz des Mietwagens bequem machte, »jetzt müssen wir wohl nach London fahren, im Dorchester übernachten, im Le Gavroche essen, uns eine Show ansehen und die ganze Nacht in irgendeinem sündhaft teuren Club durchfeiern, in dem man nur echten Champagner zu trinken bekommt.« Sie schnalzte mit der Zunge und ließ den Motor an. »Ich hasse es, wenn das passiert.«
    *
    »Wie geht’s deinem Kopf?«
    »Er fühlt sich an wie ein Porzellanladen, dem gerade ein Elefant einen Besuch abgestattet hat.«
    »Was, hat er kräftig reingeschissen? Hahaha.«
    Ich schlug die Augen auf und strafte meine Großmutter mit einem – wie ich hoffte – vernichtenden Blick. Sie zwinkerte mir über den Rand ihres Wall Street Journal zu. Der graulivrierte Chauffeur schwenkte mit dem Wagen – ein »Jagwuaar«, wie Yolanda ihn nannte – in eine Lücke im Vormittagsverkehr nahe Harrod’s. Wir waren auf dem Weg zum Flughafen Heathrow. Ich bewegte mich auf meinem Sitzbrett, und meine Lederhose knarrte. Ich hatte heute morgen wenig Wahl gehabt, was ich anziehen sollte; das Hotel in Bath war außerstande gewesen, meine alten Kleider rechtzeitig für unsere Abreise nach London aus der Wäscherei zu holen. Wir hatten die Adresse der Gemeinschaft hinterlassen, und man hatte uns versichert, daß die Kleider nachgesandt werden würden, aber es bedeutete, daß ich die Sachen tragen mußte, die meine Großmutter für mich gekauft hatte, was mir doch ein etwas unpassender Aufzug für meine Rückkehr zur Gemeinde schien. Allerdings war ich auch nicht in der Verfassung, mich auf die Suche nach anderen Sachen zu begeben. Yolanda trug Stiefel, einen dunkelblauen Hosenrock und eine passende kurze Jacke.
    »… Herrje«, sagte ich. »Ich glaube, ich muß – «
    »Weißt du, wie man das Fenster öffnet?« fragte Yolanda hastig. »Es ist dieser Knopf hier – «
    »Oh«, sagte ich und furzte laut in meine Lederhose. »Entschuldigung«, murmelte ich verlegen.
    Oma Yolanda schnüffelte. Sie schüttelte den Kopf, dann vergrub sie ihn in ihrer Zeitung.
    »Meine Güte, Kind; das riecht, als wäre dir ein Stinktier in den Arsch gekrochen und dort verendet.«
    *
    Wie ich schon andeutete, hat unser Glaube nichts gegen Beschwipstheit im allgemeinen einzuwenden, mißbilligt jedoch Trunkenheit, wenn sie den Punkt motorischer Störungen, lallender Sprache und Besinnungslosigkeit erreicht. Nichtsdestotrotz gestehen wir zu, daß sich auch Menschen, die sich gewöhnlich höchstens einen leichten Schwips antrinken, unter gegebenen Umständen sinnlos betrinken können und daß der eine Zustand zum anderen führen kann. Wenn dies nicht über Gebühr häufig geschieht, gilt der daraus resultierende Kater als hinlängliche Strafe, und es wird kein weiteres Aufheben um die Angelegenheit gemacht.
    Gelegentlich, wenn ein Luskentyrianer einen schlimmen Kater hat, wünscht er, Salvador hätte, als er die Regeln erhielt, die unser Glaube befolgt, auch die Anweisung empfangen, den Genuß von Alkohol gänzlich zu verbieten. Tatsächlich war es ganz zu Anfang auch so; als mein Großvater hastig die Botschaften niederschrieb, die ihm auf Gottes Frequenz übermittelt worden waren, gab es auf Seite zwei in Salvadors ursprünglichem Manuskript ein Gebot – man kann es nicht anders nennen –, das besagte,

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