Die Auserwählte
holen. Er zeigte mir, wie man den Videorecorder bediente, dann verschwand er, um Frühstück zu machen.
Das Erlebnis, eigenhändig den Videorecorder, den Fernseher und ihre Fernbedienungen zu benutzen – und nicht nur aus Gründen der Geselligkeit im selben Zimmer zu sitzen, während sie benutzt wurden –, verursachte mir Zahnschmerzen. Unsere Vorschriften in dieser Hinsicht sind eher Verhaltensregeln denn direkte Verbote, und ich verspürte eine gewisse Erregung, die Befehlsgewalt über diese verführerische, schwarzknöpfige Technologie zu haben, doch hauptsächlich empfand ich Unbehagen, und ich wurde ausgesprochen deprimiert, als die Geräte sich weigerten, den Fernbedienungen zu gehorchen. Ich verfluchte die Gerätschaften im stillen und hätte am liebsten die Fernbedienungen quer durch das Zimmer geschleudert.
Plötzlich schoß mir durch den Sinn, daß sich die Seichten die ganze Zeit so fühlen mußten. Ich beruhigte mich und gab nicht auf, und schon bald gehorchte alles, wie es sollte. Das Videoband begann zu spielen.
Die Frau war eindeutig Morag. Ihre Stimme klang irgendwie euro-amerikanisch, aber hier und dort kam der schottische Akzent durch. Nach dem zu urteilen, was ich sah, besaß das Video eine Art Handlung, doch sie diente unverkennbar allein als Untermalung für die verschiedenen, an den Haaren herbeigezogenen sexuellen Abenteuer, die die Heldin – Morag, Fusillada – mit beiderlei Geschlechtern erlebte. Soweit es die Wirkung des Videos betraf, nun, ich hatte die unvergleichliche Gelegenheit, den wohlgeformten, ranken Körper meiner Cousine zu bewundern, und ich kann nicht sagen, daß mich die inszenierten, aber zweifelsohne nicht gespielten Kopulationsgerangel unberührt ließen, obgleich es mir ein Geheimnis blieb, weshalb die Macher des Videos es für nötig gehalten hatten, jedesmal zu zeigen, wie die Männer ejakulierten; dieser Anblick, der mir niemals zuvor zuteil geworden war, schien den darauf verwendeten Zeitaufwand nicht zu rechtfertigen und erzeugte bei mir außerdem ein leichtes Unwohlsein.
Nichtsdestotrotz muß ich, alles in allem genommen, gestehen, daß ich mich durchaus erregt fühlte, während ich dort saß und mir mehr von dem Film ansah, als unbedingt nötig gewesen wäre, um Morags Identität zweifelsfrei zu klären. Beim Frühstück gab ich Boz das Band zurück. Er fragte mich, ob ich Fusillada DeBauch tatsächlich persönlich kannte. Ich bestätigte dies und fragte ihn, was er an diesem Tag vorhatte.
*
Abermals Soho. Mit einem Mal schienen die Orte, an die man uns tags zuvor geschickt hatte, keine so falschen Fährten mehr zu sein. Die Entdeckung, daß meine Cousine zumindest nebenberuflich in der Pornobranche tätig war, ließ es mit einem Schlage durchaus sinnvoll erscheinen, daß ihr Agent in dieser Gegend zu finden war, und so kehrten wir zurück, um abermals nach Mr. Francis Leopold zu suchen.
Bruder Zeb hatte sein Haar zur Tarnung zu einem buschigzerzausten Pferdeschwanz zusammengebunden; er und Boz – der unangemessen beeindruckt schien, daß Fusillada meine Cousine war, und, wie ich vermutete, die Hoffnung hegte, daß wir zufällig mit ihr zusammentreffen würden – lenkten den bulligen Mann mit den beringten Händen im Foyer des erotischen Kinos ab, während ich mich die Treppe neben dem Lichtspielhaus hinaufstahl. Die Treppe war schmal und steil. Drei Türen gingen von dem Absatz am Kopf der Treppe ab, der von einem einzelnen dreckstreifigen Fenster beleuchtet wurde, dessen Ausblick fast gänzlich von der Reklamewand des benachbarten Kinos eingenommen wurde. Hinter einer Ecke führte eine weitere Treppe ins nächste Stockwerk hinauf. Ich spähte auf die Türen. An jeder war ein kleines Schild befestigt: Kelly Silk, Madame Charlotte und Eva (S&M).
Ich stieg zur nächsten Etage hinauf, deren Treppenabsatz marginal besser beleuchtet war. Vixen, Cimmeria, FL Enterprises. Aha!
Ich klopfte an der Tür. Keine Antwort. Nach einer halben Minute drückte ich versuchsweise den Türgriff herunter, aber die Tür war abgeschlossen. Eine Sirene – der ewige Refrain der Großstadtmusik – heulte irgendwo in der Nähe. Ich klopfte abermals und rüttelte an der Tür.
Die Tür zur Linken, mit der Aufschrift »Cimmeria«, ging einen Spalt weit auf, und ein dunkles Gesicht spähte heraus. Ich lächelte und tippte mir an den Hut.
»Guten Morgen«, sagte ich.
»Ja?«
Ich warf einen Blick auf die Tür von FL Enterprises. »Ich, äh, suche nach Mr. Leopold; ist das sein
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