Die Auserwählten
internationalen Größen. Und der Nachrichtendienst sieht überall Terroristen. Persönlich habe ich das Gefühl, dass wir uns als Gastgeber bloß in die Hose machen. Es wird schon gutgehen.«
Sommersted schnaubte. Er atmete tief ein, und dann kam ihm wieder in den Sinn, warum er Bentzon überhaupt zu sich gerufen hatte.
»Ich bin froh, dass Sie wieder zurück sind, Bentzon.« Er legte seine Brille auf den Tisch. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich ausziehen mussten? Die werden immer besser und besser.«
»Wird sie überleben?«
»Das Mädchen? Ja, sie kommt durch.«
Er nickte verbissen, und seine buschigen Augenbrauen glitten in seinem besorgten Gesicht etwas näher zusammen. Er sah ziemlich glaubwürdig aus, aber Niels ließ sich nicht von ihm in die Irre führen. Sommersted hatte vor fünf Jahren an dem Medienkurs teilgenommen, den Niels ausgeschlagen hatte. Als Polizeipräsident musste man heutzutage eine Kombination aus Moderator, Politiker und Personalchef sein.
»Sie verstehen sich wirklich darauf, mit den Menschen zu reden, Niels.«
»Ja?«, antwortete Niels zögernd und wusste, dass Sommersted ihm soeben eine Falle gestellt hatte.
»Ich meine das ernst.«
»Danke, das ist nett.«
Die Falle klappte augenblicklich zu. »Vielleicht ein bisschen zu gut?« Sein Blick durchbohrte ihn mit einem Mal.
»Ist das eine Frage?«
»Miroslav Stanic, unser serbischer Freund. Erinnern Sie sich an ihn?«
Niels rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und bereute das sofort, denn er wusste, dass Sommersted seine Unruhe bemerkt hatte.
»Ich habe gehört, Sie besuchen ihn im Gefängnis? War das nur das eine Mal?«
»Haben Sie mich deshalb zu sich gebeten?«
»Der Mann ist doch ein Psychopath.«
Tiefes Einatmen. Niels sah aus dem Fenster. Er hatte nichts gegen quälendes Schweigen.
Während Sommersted ganz offensichtlich auf irgendetwas von ihm wartete, streifte Niels’ Gedächtnis Miroslav Stanic.
Es war sieben oder acht Jahre her, dass der Serbe an Den Haag ausgeliefert werden sollte. Er stand unter Verdacht, in Bosnien Kriegsverbrechen begangen zu haben. Aus unerfindlichen Gründen hatte er in Dänemark politisches Asyl beantragen können. Aber den dänischen Behörden wurde ihr Fehler ziemlich rasch bewusst: Stanic war kein armer, verfolgter Serbe, sondern ein früherer Kommandant des berüchtigten Lagers Omarska, der nun im Restaurant Dänemark drei kerngesunde, warme Mahlzeiten pro Tag bekam. Vollwertkost. Als er ausgeliefert werden sollte, drehte er vollkommen durch und nahm im Sandholmlager zwei andere Flüchtlinge als Geiseln. Als Niels ankam, forderte Miroslav Stanic freies Geleit aus dem Land, sonst wollte er seiner ersten Geisel die Kehle durchschneiden. Er schien es auch wirklich ernst zu meinen, denn ganz nebenbei schlug er eine junge, albanische Frau nieder, die nur dank der Zauberkünste der Ärzte überlebte. Anschließend hatte es an Vorwürfen gegen Niels nicht gemangelt. Besonders Leon hatte sich dabei hervorgetan. Warum hatte er diesem Psychopathen nicht einfach den Schädel von den Schultern gepustet?, fragte er ihn. Das Ganze hatte damit geendet, dass Niels einen halben Tag lang mit dem Serben verhandelt hatte. Miroslav Stanic bereute seine Kriegsverbrechen nicht eine Sekunde. Sommersted hatte Recht: Dieser Mann war ein reinrassiger Psychopath. Und charmant dazu. Sogar Niels hatte das eine oder andere Mal lächeln müssen. Miroslav Stanic fürchtete das Gefängnis. Die Einsamkeit. Er wusste aber ganz genau, dass sein Spiel verloren war und er sich nun auf zwanzig Jahre hinter Gittern einstellen musste. Und Niels’ Aufgabe war es gewesen, ihn von dieser Erkenntnis zur Aufgabe zu bewegen.
Sommersted wartete noch immer.
»Das war ein Versprechen, das ich ihm gegeben habe. Und da er seine Strafe hier in Dänemark absitzt, hatte ich die Möglichkeit, es auch zu halten.«
»Ein Versprechen? Sie haben versprochen, ihn im Gefängnis zu besuchen?«
»Das war der Preis für die Freilassung der Geiseln.«
»Brechen Sie Ihr Versprechen, Bentzon. Die Geiseln sind frei, Stanic wurde verurteilt. Sind Sie sich im Klaren darüber, was die anderen über Sie sagen?«
Niels hoffte, dass das eine rhetorische Frage war.
»Wissen Sie es?«
W. H. Sommersted glich einen kurzen Moment lang einem Arzt, der einem todkranken Patienten die unumstößliche Wahrheit mitteilen musste.
»Dass ich manisch depressiv bin?«, schlug Niels vor. »Eine Schraube locker habe?«
»Besonders Letzteres. Die anderen
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