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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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gewohnt, alle möglichen Reaktionen hervorzurufen, wenn er sich vorstellte: Angst, Panik, Verachtung, Trotz, Erleichterung. Doch die Frau vor ihm sah ihn unverwandt an und sagte:
    »Hannah Lund. Gustav kommt nicht zurück. Ich wohne jetzt allein in dem Haus.«
    ***
    Die Möbel passten nicht zu einem Ferienhaus.
    Sie waren zu schön. Zu teuer. Niels interessierte sich nicht für Möbel, aber es gab Zeiten – jedenfalls kam ihm das so vor –, in denen Kathrine über nichts anderes redete, und deshalb kannte auch er sich zwangsläufig ein wenig mit Designermöbeln aus. Wegener. Mogensen. Klint. Jacobsen. Wenn die Möbel im Ferienhaus echt waren, waren sie ein kleines Vermögen wert.
    Ein Paar leuchtende Katzenaugen musterten Niels neugierig, als er sich im Haus umsah. Das Wohnzimmer war ein einziges Chaos. Auf allen Tischen standen Teller und benutzte Tassen. Katzenspielzeug, Schuhe und alte Zeitschriften lagen über den Boden verstreut. Über einem Holzbalken hing Wäsche. Ein schwarzes Klavier füllte fast eine Stirnwand aus, die andere war mit Büchern zugestellt. Die Unordnung stand in großem Kontrast zu den teuren Möbeln, irgendwie ergab sie aber auch Sinn. Vielleicht war es einfach seltsam, solche Möbel zu sehen, die im Alltag benutzt wurden, als seien sie gar nichts Besonderes.
    Wenn Niels und Kathrine ein seltenes Mal einen von Kathrines Architektenkollegen besuchten – Niels versuchte sich um diese Termine immer herumzudrücken –, war er meist verunsichert. Ein Gefühl von Unzulänglichkeit überfiel ihn. Er hatte einfach keine Lust, in irgendeiner trendigen Østerbro-Wohnung zu stehen und umgeben von Europas teuersten Möbeldesignern, auf deren Sofas er kaum Platz zu nehmen wagte, an einem Glas Corton-Charlemagne-Weißwein für sechshundert Kronen zu nippen. Kathrine lachte nur darüber.
    »Gustav soll ein guter Mensch sein?« Hannah unterdrückte ein Lächeln und reichte ihm eine Tasse Kaffee. »Sind Sie sicher, dass Sie hier nicht an der falschen Adresse sind?«
    »Das haben alle gesagt, außer der vom Roten Kreuz.« Niels rührte seinen Pulverkaffee um und entdeckte eine kleine, gerahmte Fotografie, die einen groß gewachsenen, schlaksigen Teenager neben Hannah zeigte. Sie hatte den Arm um ihren Sohn gelegt und stand vor Foucaults Pendel in Paris.
    »Aber warum ausgerechnet Gustav?«
    »Das war der Computer. Vermutlich wegen dem, was er gesagt hat, als er den Preis bekommen hat.«
    »Ach: Letzten Endes wird es die Mathematik sein, die die Welt rettet?«
    »Ja, genau.«
    »Und dann ist plötzlich Gustavs Name auf dem Bildschirm erschienen?«
    »Gustav ist Ihr Exmann?«
    Er sah sie an, während sie umständlich und wortreich den Status ihrer Ehe beschrieb. Wie alt konnte sie sein? Vierzig? Fünfundvierzig? Sie strahlte eine gewisse Unstrukturiertheit aus. Was zu dem Haus passte: etwas düster, chaotisch, aber interessant und vielschichtig. Sie hatte dunkle, ernste Augen, und ihre mittellangen, braunen Haare waren ungekämmt, als wäre sie gerade erst aus dem Bett gekommen. Obwohl der Boden kühl war, hatte sie ihre Schuhe ausgezogen und stand barfuß da. Jeans, eine weiße Bluse, feine, helle Haut. Schmächtig. Schön war sie nicht. Hätte Niels nicht etwas anderes vorgehabt, hätte er sich vielleicht gefragt, warum er sie trotzdem anziehend fand. Möglicherweise war das aber auch ganz einfach, denn sie trug keinen BH, und Niels konnte mehr durch ihre Bluse erkennen, als ihr vermutlich lieb war.
    »Zuerst war ich seine Schülerin.«
    Niels versuchte, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Sie setzte sich aufs Sofa und legte sich eine graue Decke voller Katzenhaaren um die schmalen Schultern.
    »Ich bin Astrophysikerin und hatte viele fachliche Diskussionen mit ihm. Gustav ist einer der anerkanntesten Mathematiker Europas.«
    »Sie sind Astrophysikerin?«
    »Ja, oder war. Wir haben dann begonnen, uns auch privat zu sehen. Anfänglich war ich wohl überrascht darüber, dass ein Genie wie Gustav – ich zögere nicht, ihn als Genie zu bezeichnen, denn das ist er wirklich – mit mir geflirtet hat. Später habe ich mich in ihn verliebt. Dann kam Johannes.«
    Sie geriet ins Stocken. Niels sah jetzt auch noch etwas anderes in ihrem Blick. Trauer? Ja, definitiv. Er sah es in dem Augenblick, in dem ihm wieder in den Sinn kam, dass Hannah Lund ihren Sohn verloren hat. Johannes war tot. Er hatte Selbstmord begangen.
    Es war still im Raum. Aber die Stille war nicht quälend, da niemand versuchte, die Situation

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