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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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polnischer Jude beantragte im November 1939 die Einreisegenehmigung nach Schweden. Er befand sich in einer höchst bedrängten Lage, sein einziger Sohn war wenige Wochen zuvor in ein KZ gebracht worden. Jetzt fürchtete er auch um sich selbst und wollte nach Schweden kommen, wo er eine Tochter hatte. Sein Gesuch wurde nach Anhörung der Sozialbehörde vom Außenamt abgelehnt. Wenig später wurde auch er in ein KZ gebracht und getötet: sein Fall war gelöst. Eine jüdische Ärztin aus Berlin suchte im September 1939 um die Einreisegenehmigung nach Schweden nach, wo sie allerdings nicht bleiben, sondern von hier bald in ein anderes Land weiterreisen wollte. Das Gesuch wurde abgelehnt. Im Januar 1940 versuchte sie es von neuem. Die Sozialbehörde riet ab, und das Außenministerium lehnte wiederum ab. Sie wurde später in einem KZ umgebracht. Ein zwölfjähriges Mädchen aus Nürnberg beantragte im November 1939 die Einreisegenehmigung nach Schweden. Ihr Gesuch blieb in irgendwelchen Aktenschränken liegen. Am 3. April 1941 versuchte sie es wieder; die Sozialbehörde befürwortete ihren Antrag, aber »im Außenministerium wurde ihr Antrag nach Aktennotiz des Legationsrats Hellstedt vom 2. Juli 1941 zu den Akten gelegt«. Am 6. August wurde das Gesuch des Mädchens vom Außenamt endgültig abgelehnt. Das Mädchen wurde deportiert und umgebracht. Eine Frau jüdischer Herkunft hatte ihren einzigen Bruder in Schweden, er war schwedischer Staatsbürger und stellte für sie den Antrag auf Einreiseerlaubnis. Er tat es im Oktober 1939, im Februar 1940 (wobei er besonders die Gefahr einer bevorstehenden Deportation hervorhob) und im Juni 1940: sämtliche Gesuche wurden abgelehnt, der letzte Antrag sogar schon nach zwei Tagen. Diesmal hatte man darauf verzichtet, die Sozialbehörde anzuhören. Der Bruder stellte im November 1940 einen weiteren Antrag; in seinem Brief berichtete er, dass die Juden in weiten Teilen Deutschlands abtransportiert und in KZs gebracht würden. Das Außenministerium lehnte vier Tage später ab. Er stellte im März 1941 einen neuen Antrag, in dem er noch ausführlicher wird: er erzählt von Deportationen von Juden in Baden, Stettin und Wien. Aber auch dieses Gesuch wurde schnell abgelehnt. Im September kam das letzte Gesuch. Nun konnte er mitteilen, dass seine Schwester seit drei Monaten in einem Konzentrationslager sitze, dass aber dennoch eine winzige Hoffnung bestehe, sie freizubekommen. Im Oktober 1941 wurde der Antrag endlich genehmigt, aber es war selbstverständlich schon zu spät. Die Schwester starb am 1. Juni 1942 im Konzentrationslager Ravensbrück. Todesursache: »Lungenentzündung«.
    Die Fälle schienen endlos.
    Ein jüdisches Ehepaar aus Berlin suchte im Dezember 1940 um Einreisegenehmigung nach. Eine Tochter lebte in Schweden, ein Sohn war 1938 in ein KZ gebracht worden, hatte aber fliehen können. Geld für den Aufenthalt in Schweden war genügend vorhanden. Die Sozialbehörde riet ab, das Außenministerium lehnte ab. Im Juni 1941 kam ein neues Gesuch, das wiederum abgelehnt wurde. Ein drittes Gesuch im September 1941 fand endlich Gehör, aber auch in diesem Falle kam die Genehmigung zu spät: die Eheleute konnten Deutschland nicht mehr verlassen. »Die Widerstandskraft des Ehemanns G. verfiel zusehends, und er starb im Oktober 1942. Im Januar 1943 wurde seine Frau nach Osten abtransportiert. Die Tochter hat keine Hoffnung mehr, dass die Mutter noch am Leben ist.« Die Tochter ist weiter – offenbar in einem Anfall unberechtigten Misstrauens gegenüber dem guten Willen der schwedischen Behörden – der Ansicht, dass die schließlich erteilte Einreisegenehmigung nicht ernst gemeint gewesen sei: »zu dieser Zeit wussten die schwedischen Behörden sehr gut, dass es Juden nicht mehr erlaubt war, Deutschland zu verlassen.« Im März 1940 baten zwei jüdische Eheleute um die Einreiseerlaubnis. Abgelehnt. Im Oktober 1941 versuchten sie es von neuem, wobei sie darauf hinwiesen, dass ihre Deportation unmittelbar bevorstehe. Nach diesem Gesuch im Oktober 1941 wurde die Genehmigung schließlich erteilt, allerdings unter der Bedingung, dass die Eheleute sich verpflichteten, »in ein anderes Land« weiterzureisen. Es war aber schon zu spät, sie bekamen keine Ausreisegenehmigung mehr und wurden ins KZ Theresienstadt gebracht. Danach hat niemand mehr von ihnen gehört.
    In diesen Berichten waren alle Menschen anonym, sie waren Fälle , die mit Buchstaben gekennzeichnet wurden. Es gab aber auch

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