Die Außenseiter
Desvendapurs Decke und sein röhrenförmiges Zelt hielten ihn warm genug. Ein Mensch hätte in der Hitze und Feuchte der Nacht geschwitzt, doch für einen Thranx hätte es noch wärmer und feuchter sein müssen, damit dieser sich wohl fühlen konnte. Aufregung und Hochstimmung rangen in dem einsamen, sechsbeinigen Abenteurer mit Erschöpfung, doch schließlich trug letztere den Sieg davon - was Des zugute kam. Er schlief tief und friedlich bis zum nächsten Morgen.
Als er aufstand, packte er seine Ausrüstung zusammen und setzte seinen Marsch gen Osten fort. Im Überfluss von essbaren Pflanzen umgeben, zögerte er nicht, eine nach der anderen zu kosten, doch zuvor vergewisserte er sich stets, ob er sie auch wirklich eindeutig identifiziert hatte.
Viele irdische Gewächse enthielten Gifte, um räuberische Pflanzenfresser abzuschrecken. Einige dieser Gifte waren für Menschen tödlich, aber harmlos für Thranx - und umgekehrt. Manche starken pflanzlichen Alkaloide beispielsweise, die einen Zweifüßer außer Gefecht gesetzt oder krank gemacht hätten, wusste ein Thranx wegen ihres pikanten Geschmacks sehr zu schätzen.
Während der Dichter zwischen den Bäumen hindurchschlenderte, frühstückte er ausgiebig. Mit den Echthänden pflückte er Blätter von Büschen oder herabhängenden Ästen. Viele Tiere, die ein Mensch als Jagdwild betrachtet hätte, ignorierte der vegetarische Thranx, einschließlich der unzähligen Insekten. Hätte Desvendapur eine dicke, proteinreiche Made verspeist, wäre das für ihn das Gleiche, wie für einen Zweifüßer der Verzehr eines Affenbabys.
Wasser gab es überall, was es ihm ersparte, Trinkschläuche mitschleppen zu müssen. Hindernisse, die für einen Menschen eine Herausforderung gewesen wären, stellten für den sechsbeinigen Thranx kein Problem dar. Er fürchtete sich nur vor einer Sache: dass in seinem Sch'reiber nicht genügend Speicherplatz für den endlosen Strom an Einfällen frei wäre, die er in das Gerät diktierte.
Als er sich vorsichtig einen Weg durch einen Haufen umgestürzter Bäume suchte, die bei der jährlichen Regenzeitflut angeschwemmt worden waren, spürte er einen äußerst kräftigen Schlag am linken Bein. Er senkte den Blick und erkannte fasziniert ein drei Meter langes Bündel aus tödlichen Windungen, den Menschen als Lanzenotter bekannt. Mit leisem Zischen wandte die Schlange sich ab und verschwand im verrottenden Unterholz. Die Art und Weise, wie das Geschöpf sich fortbewegte, fesselte den Dichter. Auf Willow-Wane waren die Tiere, die sich ohne Beine so schnell über den Boden bewegen konnten, nicht einmal halb so groß wie dieses hier. Mit großem Interesse sah er dem Wesen nach. Ein flüchtiger Blick auf sein Bein, das den Schlag des Tieres abgefangen hatte, offenbarte zwei flache Vertiefungen im leicht metallisch schimmernden blaugrünen Chitin: Dort waren die Giftzähne der Lanzenotter aufgetroffen. Als die Schlange gemerkt hatte, dass ihre Zähne den Panzer nicht durchdringen konnten, hatte sie sich verwirrt zurückgezogen.
Desvendapur hatte die Schlange dank seiner gründlichen Studien auf den ersten Blick erkannt. Hätte das Tier in das weiche, ungeschützte Bein eines Menschen gebissen, hätte der betreffende Mensch zunächst starken Schmerz empfunden; kurz darauf wäre er gelähmt gewesen und schließlich gestorben, wenn ihm nicht sofort das entsprechende Gegengift verabreicht worden wäre. Solange die Schlange einen erwachsenen Thranx nicht ins Auge biss, in die weiche Unterseite des Abdomens oder in ein Gelenk, konnte sie ihm nichts anhaben.
Nicht jedes Tier des Regenwaldes war für ihn so ungefährlich wie die Schlange. Da Desvendapur das wusste, achtete er genau auf die vielen möglichen Gefahren. Große Riesenschlangen wie etwa eine Boa oder eine Anakonda konnten einen Thranx ebenso leicht töten wie einen unachtsamen Menschen. Das Gleiche galt für einen überraschten Brillenbären oder einen wütenden Kaiman. Dank des harten Ektoskeletts war der Dichter jedoch praktisch immun gegen die allgegenwärtigen Horden beißender, stechender, Blut saugender Insekten.
Trotz des wundervollen Überschwangs an fremden Geschmacksstoffen, die die Büsche und Bäume überall ringsum enthielten, achtete er darauf, sich nicht allzu gütlich an ihnen zu tun. Es wäre zu dumm, wenn er den Gefahren des Regenwaldes erfolgreich trotzte, nur um letztlich aus eigenem Verschulden seinem verdorbenen Magen zu unterliegen. Später bliebe ihm noch genügend
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