Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
zu machen.
Ich wollte gleich am nächsten Morgen los. Vielleicht konnte ich ja so tun, als ob ich zu Hause was vergessen hatte, und zurückkommen, wenn alle anderen auf dem Weg in die Schule oder zur Arbeit waren. Ich hatte ein bisschen was gespart, denn â ganz ehrlich gesagt war es ja nun wirklich nicht so, dass ich ständig mit Freunden ins Kino rannte und dort alles verjubelte. Ich konnte ein Taxi zum Flughafen nehmen, in ein Flugzeug steigen und â wenn April und June gerade aus der Schule kamen â schon in Houston sein. Adresse und Handynummer von Dad hatte ich ja. Und, richtig, ich konnte mich ja unsichtbar machen. Was wollte ich also mehr?
Als kleine Zugabe würde ich dann auch noch die morgige Klassenarbeit in europäischer Geschichte verpassen. Bei diesem Gedanken musste ich allerdings an Henry denken, was mich ans Kotzen erinnerte, weshalb ich keine Cheese Puffs mehr sehen konnte. Aber andererseits mochte ich Cheese Puffs viel zu sehr, um die Finger davon zu lassen.
Ich war gerade dabei, meine Reisetasche und meine Tüte Cheese Puffs in den Wäschekeller zu schleppen, als es an der Tür klingelte. Abends um halb neun. Ich hatte genügend Filme gesehen, um zu wissen, dass das nur das Monster aus Scream sein konnte, das gekommen war, um mich in Stücke zu hacken. Doch was hatte es schon zu bieten, auÃer seiner dämlichen Halloween-Maske! Ich hingegen konnte mit Unsichtbarkeit auftrumpfen. Bitte, sollte es doch versuchen, mich kaltzumachen. Ãberraschende Wendungen sind doch immer wieder nett.
Aber als ich die Tür öffnete, kam es noch viel schlimmer als der Scream- Fuzzi. Es war Henry.
»Oh«, murmelte ich und schubste eilig die Reisetasche auÃer Sichtweite. »Ich dachte, du bist ein Serienkiller.«
»Ãhm, nein«, sagte er. »Ich weià ja, dass du mich nicht abkannst, aber ein Mörder bin ich nun echt nicht.«
Ich lehnte mich gegen die Tür. »Und? Willst du mir Pfadfinderkekse andrehen? Oder sammelst du Spenden für Obdachlose?«
»Du schreibst doch morgen eine Geschichtsarbeit. Ich hatte gedacht, du könntest ein bisschen Hilfe gebrauchen.«
Die Cheese Puffs machten Stress in meinem Magen. »Danke, aber ich brauch keine Hilfe«, lehnte ich ab.
»Sind das Cheese Puffs?«
Ich sah die Tüte an. »Kann sein.«
»May.«
»Henry.«
»Irgendwie bist du schräg drauf heute«, sagte er.
»Du meinst, im Gegensatz zu meiner üblichen Cheerleader-Begeisterung?«
»Irgendwie bist du ganz rot im Gesicht.«
Er hatte recht. Es war warm, viel zu warm, ich fühlte mich wie unter Bühnenscheinwerfern. »Hör mal, Henry«, sagte ich. »Du bist hier, weil du mich was â¦Â«
»Ist das âne Reisetasche?«
Ich blickte nach unten und sagte: »Kann sein.«
Henry sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Willst du weg?«
»Hockey-Turnier«, sagte ich. »Ich findâs geil, ab und zu mit dem Schläger loszuziehen und so richtig Leute zu vermöbeln.«
Henry holte tief Luft und fuhr sich durch die Haare. Sie waren wesentlich kürzer als nötig, was mir unsagbar auf die Nerven ging. Sie waren so kurz, dass ich den oberen Rand seiner Ohren sehen konnte. »Du spielst doch gar nicht Hockey«, sagte er. »Ob ich mal kurz reinkommen dürfte?«
Ich räumte meinen Platz in der Tür und winkte ihn herein. »Mi casa es su casa.«
Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, war ich total verkatert gewesen. Der Kater war inzwischen zwar verschwunden, doch an seine Stelle war so was wie unbändige Wut getreten, die schlimmer war als alles andere zuvor. »Eine Stunde«, sagte ich. »Mehr nicht. Ich hoffe, das reicht für dein ehrenamtliches Punktekonto, damit du noch vor mir deinen Abschluss machst und ich dich nie wieder sehen muss.«
»Also, wenn es dir dann besser geht â¦Â«, setzte Henry an, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
»Es geht mir fantastisch, Henry. Echt.«
Ich brauchte ihn nicht anzusehen. Ich spürte, dass er mich ganz seltsam anstarrte. Ich konnte es auf meiner Haut spüren und fühlte mich so sichtbar wie nie zuvor. Ich wollte, dass die ganze Welt fühlte, wie ich mich gerade fühlte â frustriert und bescheuert und so neben der Spur, als ob die gesamte Welt aus den Angeln sprang und ich die Einzige war, die ins Unbekannte hinausgeschleudert wurde.
»Also dann«,
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