Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
sie. Als Miriam neben ihm anhielt, deutete er mit dem Kopf in Richtung Waldrand.
»Da drüben können wir die Räder abstellen.«
»Glaubst du wirklich, dass uns hier nichts passieren kann?«, fragte sie.
Da lachte er.
»Der Bär ist längst über alle Berge, da kannst du Gift drauf nehmen. Bei all dem Trubel, den sie hier veranstaltet haben, ist der mindestens bis nach Valdres oder Trøndelag geflüchtet. Weißt du, wie viele Kilometer so ein Braunbär in einer Woche zurücklegen kann?«
Er nahm ihr den Helm ab. Ihre Haare waren zu zwei Zöpfen geflochten, die im Nacken von einer Spange zusammengehalten wurden.
»Wenn du vor nichts anderem Angst hast …«, fügte er hinzu.
Es hatte sich bewölkt, als sie den Weiher erreichten. Bei dem kleinen Boot, dessen Bug in die Luft ragte, warf er seinen Rucksack ab, zog eine weiße Decke heraus und breitete sie aus, stellte eine Thermoskanne und zwei Becher darauf und zauberte zum Schluss eine Tüte der Konditorei Bruuns hervor.
»Hast du extra eine Decke mitgenommen?«
Er breitete vielsagend die Arme aus.
»Ein bisschen Stil muss schon sein«, entgegnete er. »Ich hab sie aus dem Untersuchungszimmer stibitzt – garantiert steril!«
Sie lachte. Er streckte die Hand aus und berührte ihr Ohr da, wo es von einem fast unsichtbaren Flaum bedeckt war.
»Ich wollte unseren Abschied feiern«, sagte er. »Deshalb habe ich dich eingeladen.«
»Wieso Abschied?«
»Ich bin in der nächsten Woche auf einem Seminar.«
Er hatte ganz vergessen, ihr davon zu erzählen. Hatte es immer weiter hinausgeschoben.
»Inger Beate wird sich in den letzten Tagen deines Praktikums um dich kümmern.«
Er sprang auf einen Stein und blickte über den schwarzen Wasserspiegel.
»Der Letzte hat verloren!«, rief er, riss sich Hose, Hemd und Slip herunter und sprang, ohne zu zögern, ins Wasser. Es war nicht kälter als vor zwei Wochen. Er tauchte und machte ein paar Schwimmzüge unter Wasser, kam prustend an die Oberfläche und drehte sich zu ihr um.
Sie stand auf dem Stein und schien immer noch wie erstarrt.
»Denk nicht an unseren letzten Tag«, ermunterte er sie.
»Ich habe gerade eine Halsentzündung gehabt.«
»Umso besser. Eine effektivere Therapie gibt es gar nicht.«
Sie begann sich von ihrer engen Fahrradhose zu befreien. Er beobachtete sie, während sie sich ganz auszog. Im scharfen, grauen Licht stand sie am Ufer. Das war nicht der Grund, dachte er, warum ich sie mitgenommen habe. Trotzdem betrachtete er ihren nackten Körper, während er in dem kalten Wasser stand, und spürte, dass es bald geschehen würde. Unmerklich hatte sich innerlich bei ihm eine Wandlung vollzogen. Es gab keine Grenze mehr, die er überschreiten musste. Er hatte es bereits getan. Alles andere war unumgänglich.
Im Rucksack hatte er ein kleines Handtuch. Er gab es ihr, als sie ihm am Ufer entgegenlief. Er selbst trocknete sich mit seinem Hemd ab.
Nachdem sie das Baguette aufgegessen und den Kaffee getrunken hatten, sagte er:
»Du zitterst ja immer noch. Wir sollten uns aufwärmen.«
Auf der Decke waren winzige Regentropfen sichtbar geworden. Er zog sie auf die Beine.
»Fünf Minuten Dauerlauf!«, kommandierte er.
Er begann, gemächlich am Wasser entlangzujoggen, kletterte auf einen Hügel und wartete dort auf sie. Die Regentropfen waren groß und hart geworden. Sie warf einen besorgten Blick nach oben zwischen die Baumwipfel.
»Wir werden uns irgendeinen Regenschutz suchen«, versprach er und nahm sie bei der Hand.
Hinter dem Hügel befand sich nach wie vor die selbstgebaute Hütte mit dem Dach aus Tannenzweigen. Auf den ersten Blick sah sie unverändert aus, doch die leeren Flaschen waren verschwunden. Auch das kleine buddhistische Buch sah er nicht mehr.
»Ist das etwa dein Zuhause?«, fragte sie lächelnd.
Er kroch durch die Öffnung.
»In Vollmondnächten treibe ich im Wald mein Unwesen«, raunte er und zog sie hinein.
»Sogar eine Matratze und alles!«, rief sie. »Woher wusstest du …?«
Er drückte sie an sich.
»Miriam«, sagte er leise. »Ich habe alles versucht. Aber nicht mal ein kaltes Bad hilft dagegen.«
»Nein, überhaupt nicht«, gab sie ihm recht.
»Ich halt’s nicht länger aus.«
»Ich auch nicht.«
Er zog Jacke und Hemd aus und breitete es auf dem Boden aus, während sie erneut ihre Hose auszog, den winzigen Slip aber anbehielt. Sie legte ihre Stirn an seine und sah ihm in die Augen.
»Hast du das vorhin ernst gemeint, Axel? Dass dies unser Abschied
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