Die Behandlung: Roman (German Edition)
der Typ , dachte Logan und holte sich an der Bar noch ein Bier.
24. KAPITEL
In dem Wald oberhalb des Steinbruchs in Norfolk herrschte absolute Stille – nur das fast unwirkliche Geräusch fallender Regentropfen auf die Blätter war zu hören. Auf der knapp einen Kilometer entfernten Straße fuhr etwa alle zehn Minuten ein Auto vorbei. Einige der Wagen hatten das Licht eingeschaltet, obwohl es erst Mittag war. Tracey Lamb zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich gegen den verrosteten alten Datsun und blickte auf die übrigen Autos, die dort oben herumstanden. Sie war bester Laune und sehr zufrieden mit sich. Am Vortag hatte sie sich gleich nach ihrer Rückkehr Carls Notizbuch geschnappt, sich in seinem Zimmer damit auf das Bett gesetzt – jenes am Kopf- und Fußbrett mit Spiegeln ausgestattete, schwarz-silber lackierte Bett, das sein ganzer Stolz und seine Freude gewesen war – und der Reihe nach seine alten Freunde angerufen. Keiner von ihnen hatte bisher etwas von Pendereckis Tod gehört – war diesen Typen natürlich ohnehin egal -, und als sie dann von dem Besuch dieses Inspector Caffery erzählt hatte, waren sie der Reihe nach in Panik geraten.
»Mein Gott, Tracey! Lass mich bloß mit deiner Scheiße in Ruhe.«
»Das ist nicht meine Scheiße …«
Wieder absolute Paranoia am anderen Ende der Leitung. »Tracey? Tracey, von welchem Telefon aus sprichst du eigentlich? Doch nicht etwa von deinem eigenen Apparat?«
»Wieso?«
»Ach – du blöde Schlampe, du bist ja noch bescheuerter, als ich gedacht hatte …« Und damit war das Gespräch auch schon beendet gewesen. Als sie schließlich weiter hinten im Alphabet anlangte, waren anscheinend bereits alle informiert, und sie hörte überall nur noch das Besetztzeichen. So hatte sie rauchend zwischen Carls Hanteln, Gewichthebergürteln und DVD-Sammlung gesessen. Am liebsten hätte sie angefangen zu heulen. Sie klopfte nur an verschlossene Türen – und war völlig mittellos.
Ihr könnt mich alle mal , dachte sie, jeder Einzelne von euch perversen Schweinen . Ja, sie hätte diesem Caffery alles erzählen und die ganze Bande hochgehen lassen sollen – diese verdammten Arschlöcher.
Sie rieb sich das Gesicht, warf die Zigarette ins Unterholz, richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf und hustete rasselnd. Ringsum nichts als hohes Gras und Farne, deshalb hatte Carl seine alten Schrottkisten hier auf der kleinen Lichtung deponiert. Weiter hinten, jenseits der Autowracks, fast am Rand des Steinbruchs, war zwischen Klatschmohn und allerlei wild wucherndem Unkraut der Wohnwagen abgestellt. Eine uralte Kiste – die an manchen Stellen schon mit Moos bewachsen war. Die zerkratzten Acrylfenster waren von oben bis unten dick mit Kondenswasser beschlagen. Die abblätternden Schriftzeichen an der Seitenwand erinnerten an Carls vergeblichen Versuch, einen Imbissstand zu etablieren. Das Geschäft hatte sich zwar als Flop erwiesen, doch die Beschriftung und sogar die verblasste Preistafel waren noch zu erkennen: »Hot Dog – 15 Pence«. Und dann gab es noch die zugenagelte Klappe, die er in die Seitenwand geschnitten hatte. Früher hatten die Borstal-Boys häufig in dem Wohnwagen übernachtet. Hatten sich ständig mit White-Lightning-Cidre abgefüllt und dann in den Steinbruch gekotzt. Carl, der immer jemanden brauchen konnte, der ihm zur Hand ging, hatte die Burschen gerne um sich gehabt, besonders Anfang der Neunzigerjahre, als er irgendwo die Lizenz ergattert hatte, Autos mit Totalschaden abzuschleppen. Die meisten der Wagen wurden allerdings mithilfe der Borstal Boys kurz darauf wieder in den Verkehr gebracht: neu zusammengeschweißt, frisch lackiert, mit Fiberglasfüllungen notdürftig ausgebessert und mit neuen Fenstern ausgestattet. Entlohnt wurden die Jungs von Carl mit zollfreien Zigaretten und dem Gin, den er von seinen Sauftouren in Calais mitbrachte. Oder aber er schenkte ihnen die Autoradios, falls es ihnen gelang, sie den trauernden Hinterbliebenen abzuluchsen. Unzählige Male war Tracey Zeugin gewesen, wie einer der Borstal Boys einem älteren Ehepaar klarzumachen versuchte, dass man ihnen das Radio aus dem Wagen ihres tödlich verunglückten Sohnes leider nicht aushändigen könne: »Das Radio befindet sich in einem sehr unschönen Zustand – am besten, Sie ersparen sich den Anblick.« Und wenn die Eltern hartnäckig blieben: »Ich wollte es ja eigentlich nicht so deutlich sagen – aber Sie können das Radio nicht bekommen, weil es völlig
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