Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
Katakomben oft Gegenstand von Mythen und Geschichten, das liegt in der Natur der Sache. Davon haben Sie sich vermutlich mitreißen lassen.“
Dieser Aussage folgte ein Lächeln, das ein wenig herablassend und fast boshaft wirkte.
Also stand sie doch als Idiotin da. Eine peinliche Stille breitete sich aus. Lynn hatte keine Ahnung was sie darauf sagen sollte. Also tat sie das Erste, was ihr einfiel und sprang auf. „Tut mir wirklich leid, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe. Danke, ich finde selbst zur Tür.“ Mit hochrotem Kopf rannte sie aus der Wohnung und schloss die Eingangstüre hinter sich.
Erst als sie wieder auf der Straße war, zwang sie sich tief durchzuatmen und langsamer zu gehen. Oh Gott, das war vielleicht peinlich, Lynn schämte sich sehr. Man konnte doch nicht so einfach wegen einem unguten Bauchgefühl eine wildfremde Person belästigen. So schnell sie konnte, fuhr sie wieder nach Hause. Dort angekommen versuchte Lynn ein wenig Ordnung in ihre wirren Gedanken zu bringen, da sie das allerdings nicht schaffte, räumte sie statt dessen ein wenig ihre Wohnung auf. Der Abend verlief weitgehend friedlich, Lynn schlief wieder beim fernsehen ein und träumte... wieder war da dieser Schacht und Lynn beugte sich darüber. Plötzlich schoss eine Hand aus der Tiefe und umklammerte ihren Hals. Langsam drückte die Hand immer weiter zu bis Lynn fast keine Luft mehr bekam. Keuchend und hustend wachte sie auf. „Blöde Kuh“ schimpfte sie sich selbst. Sie versuchte noch etwas zu schlafen, gab es dann aber nach ungefähr einer halben Stunde auf, trank etwas Kakao und sah fern.
Irgendwann musste sie schließlich doch eingenickt sein. Als sie die Augen öffnete, zeigte die Uhr bereits halb elf. „Mist!“ zischte sie „wenn ich mich nicht beeile dann komme ich zu spät!“ Ihre Mutter legte großen Wert auf Pünktlichkeit, besonders beim Essen. Lynn sprang schnell unter die Dusche, schnappte sich ein weit geschnittenes Hemd und eine Jeans und zog sich an. Zum Schminken war keine Zeit mehr, es musste auch so gehen.
Sie versorgte Merlin noch mit Futter und eilte aus der Wohnung. Mit der Straßenbahn war es nicht weit, nur einige Stationen. Lynn versuchte sich innerlich gegen die immer wieder kehrenden Fragen Ihrer Mutter zu wappnen und wusste bereits im Vorhinein, dass sie wie immer auf verlorenem Posten stehen würde.
Ja, sie arbeitete brav – nein, sie hatte keinen Freund und nein, ihr bester Freund Alex war und blieb ein platonischer bester Freund. Alex hatte zwar jede Menge Frauengeschichten, aber nicht mit ihr. Lynn war für ihn einer seiner besten Kumpel, was Lynns Mutter sehr bedauerlich fand. Wenn schon die Ehe mit Martin ein Flop gewesen war, so musste man sich ihrer Ansicht nach darum bemühen, so schnell wie möglich Ersatz zu finden.
Als Lynn bei ihrer Mutter eintraf, war diese gerade mit dem Kochen fertig. Sie hatte ein Brathuhn mit Kartoffelsalat gemacht, der Duft zog sich durch die ganze Wohnung. Lynn bemerkte erst jetzt, dass sie Riesenhunger hatte. Sie hatte seit gestern nichts mehr gegessen sondern sich fast ausschließlich von Kaffee ernährt.
„Schlecht siehst du aus.“ Das war keine sorgenvolle Frage sondern klang wie eine fast zufriedene Feststellung. „Danke Mom“ erwiderte Lynn zynisch. „Sonst keine Nettigkeiten heute?“ „Man wird ja noch etwas sagen dürfen“ murmelte ihre Mutter vor sich hin.
Während des Essens versuchten die beiden Frauen ein wenig unverfängliche Konversation zu machen, was ihnen aber nicht so recht gelingen wollte. Lynn erzählte von der Führung in den Katakomben, worauf ihre Mutter nur den Kopf schüttelte „Früher sind wir noch zu ordentlichen Tanzveranstaltungen gegangen oder ins Kino, ins Theater – und wo treibt sich meine Tochter herum? Bei einem Haufen alter Knochen... ich verstehe das wirklich nicht.“
„ Macht nichts.“ meinte Lynn während sie kaute. Plötzlich wechselte ihre Mutter das Thema: „Hast du zugenommen? Du weißt schon, dass man ab Dreißig wirklich aufpassen muss? Man wird die Extrakilos nicht mehr so schnell los wie in der Jugend.“ Lynn verdrehte die Augen, jetzt kam das schon wieder.
Nach dem Essen blieben die beiden noch eine Weile sitzen und sobald der Anstand es erlaubte, verabschiedete Lynn sich mit Hinweis auf Kopfschmerzen. So schnell wie möglich floh sie aus der bedrückenden Nähe ihrer Mutter.
Wenigstens der Rest des Sonntags sollte noch gemütlich
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