Die Belagerung der Welt - Romanjahre
eine Rampe zu Höhenflügen oder waghalsigen Entwürfen. Welch eine GroÃzügigkeit, welch eine Absenz von Biedersinn oder Kleinlichkeit. Wie konnte er als Sohn eines Postbeamten, wenn ich nicht irre, diese unerhörte Dimension
erreichen? Dimension ist falsch: diese fragile Noblesse eines Letzten aus einem uralten Geschlecht. Er muà Ãngste gekannt haben, Nachtmahr, Ungeheuer. Nie ein Wort davon. Mein guter Freund.
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Gestern bei Colette und Jean-Baptiste, ich weià nicht mehr aus welchem Grund, das Romjahr und das spanische Abenteuer erzählt. Dabei ist mir das Riskierte bei beiden Unternehmungen, ebenso das Brutale den Angehörigen gegenüber wie nie zuvor aufgefallen, möglicherweise aus der Altersdistanz, und zudem stellte sich mir die Frage, was denn bei so viel Risiko und (familiärer) Zerstörungswut im Grunde gesucht wurde.
In Rom kriegt der 30-Jährige einen Platz am Schweizer Institut und durch Paul Hofers Privatinitiative ein fettes Stipendium. Er logiert seine Familie in Grottaferrata ein und wird Stipendiat in Rom. Es beginnt ein Doppelleben: Die Woche über ist er Junggeselle und Stipendiat in Rom, zu den Wochenenden ist er Ehemann und Familienvater in Grottaferrata/Colli Albani. Er verweigert sich sowohl der Institutsgemeinschaft wie jeder Form von Arbeit, also jeder Pflicht. Er wird MüÃiggänger und Taugenichts. Er gibt das Geld aus. Läuft herum, ohne auch nur im geringsten zielgerichtet von dem Kulturschauplatz Kenntnis zu nehmen. Man könnte sagen, er will eine verpaÃte Jugend, eine durch frühe Heirat und Familiengründung samt Gelderwerb verpaÃte Ungebundenheit nachholen, er fälscht gewissermaÃen seinen Zivilstand und Lebenspunkt. Seine Personalien. Jetzt beginnt es: Neuanfang. Das Ganze auf Kosten der abgeschobenen Ehefrau und Familie. Er frönt einem angestauten Lebenshunger wie Freiheitsbedürfnis, und gleichzeitig läÃt er sich von innerer Panik und schlechtem Gewissen zernagen. Er läÃt sich mit Maria ein. Will er einen Roman leben? Sich
Romanstoff anleben? Das Konstante ist die Verweigerung, ein Egoismus und Egotismus, alles an der Grenze der Selbstquälerei. Er setzt mehr aufs Spiel, als er hat. Dabei â dies vielleicht im Sinne des Romanstoffs â läuft er sich selbst wie einem Versuchskaninchen hinterher. Wer ist der Kerl? Verausgabung. Selbstverausgabung. Das Ganze dauert so lange, bis alles Geld ausgegeben ist. Er kehrt mit leeren Händen zurück. Was heiÃt zurück? Er hat kein Zuhause mehr, er kriecht wie ein Gescheiterter beim deutschen Schwiegervater in dem Dorf Osternohe in Franken unter. Rom hat anscheinend nur Negatives aus ihm zutage befördert. Und nun kommt in höchster Not ein Wunder zustande (wenigstens im bürgerlichen Sinne): Er wird an die NZZ berufen und zieht mit seiner Familie als bestallter Familienvater â ungern â nach Zürich um. Er hat ein Einkommen und einen sozialen Status. Den er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verscherzt. Er wird in Sondermission als Journalist nach Barcelona geschickt und taucht schon am Tage seiner Ankunft in dem Nachtlokal »La buena sombra« unter. Er bleibt wochenlang unter Tag, an Antonita gefesselt, er taucht wirklich unter. Er vergiÃt sowohl seinen Auftrag wie seine Familie, er verstrickt sich in ein mörderisches Abenteuer, er frönt wiederum einer beinah masochistisch zu nennenden Zerstörungs- und Selbstzerstörungswut. Er muà sich mit Freundes Hilfe finanziell auslösen lassen. Er kehrt nach Zürich zurück, wo er sowohl seinen Posten aufgibt oder verliert wie (etwas später) seine Familie, und zwar definitiv. In der Verzweiflung am Rande des Zusammenbruchs, allein in der von der Familie verlassenen Wohnung, schreibt er den Text »Canto auf die Reise als Rezept«, den er als Erklärung dem Hauptredakteur vorweist. Der Text erscheint in der Literaturbeilage der NZZ . Er berührt das in Barcelona Erlebte mit keinem Wort, er ist vielmehr die Keimzelle für das Rombuch, das er schreiben wird: eine
Geistesverfassung. Doch vorerst muà er noch das spanische Abenteuer abschlieÃen. Er fliegt auf Kosten der Villa Hügel in Essen, also der Krupp-Leute, für die er einen Vortrag hält, nach Barcelona zurück, wo ihn Antonita erwartet. Es ist ein Abtasten des Geschehenen. Zurück nach Zürich. Danach kommt wiederum Rettung oder Fügung: Er
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