Die Berufung
Jackson statt. Es war eine ruhige, geradezu geheime Veranstaltung, zu der nur geladene Gäste zugelassen waren. Gedruckte Einladungen gab es nicht: Die etwa achtzig Anwesenden waren über eine Telefonkette informiert worden. Der Abend war als Ehrung für Richter Ron Fisk gedacht. Doreen war ebenfalls dabei und hatte das große Vergnügen, neben Senator Myers Rudd sitzen zu dürfen, der soeben aus Washington eingeflogen war. Der erste Sprecher war der Präsident des Ärzteverbands von Mississippi, ein ehrwürdiger Mediziner aus Natchez, der immer wieder den Tränen nahe zu sein schien, als er von dem enormen Gefühl der Erleichterung unter den Ärzten sprach. Jahrelang hätten sie ständig fürchten müssen, vor Gericht gezerrt zu werden. Ihnen seien enorme Versicherungsprämien abverlangt worden. Man habe sie unter fadenscheinigen Vorwänden verklagt. Wenn sie als Zeugen und Sachverständige aussagten, seien sie beschimpft worden. Aber jetzt sei alles anders geworden. Nachdem der Supreme Court seine Politik geändert habe, könnten sie endlich ihre Patienten richtig behandeln, ohne dass ihnen die Angst im Nacken sitze. Er bedankte sich bei Ron Fisk für seinen Mut, seine Klugheit und seinen Einsatz für Ärzte, Krankenpflegepersonal und Krankenhäuser des Bundesstaates von Mississippi.
Senator Rudd hatte bereits seinen dritten Scotch intus, und der Gastgeber wusste aus Erfahrung, dass es ab dem vierten heikel wurde. Daher bat er den Senator, ein paar Worte zu sagen. Nachdem Rudd eine halbe Stunde sämtliche Probleme der Welt erläutert und alle bis auf den Konflikt im Nahen Osten gelöst hatte, erinnerte er sich schließlich daran, weshalb er da war. Er machte sich grundsätzlich keine Notizen, plante seine Ansprachen nicht und verschwendete keine Zeit damit, sich vor einer Rede zu überlegen, was er sagen wollte. Seine Anwesenheit allein war Belohnung genug für seine Zuhörer. Ach ja, Ron Fisk. Er schilderte ihre erste Begegnung in Washington vor einem Jahr und nannte ihn dabei mindestens dreimal »Ronny«. Als sein Gastgeber auf die Uhr deutete, setzte er sich endlich und bestellte seinen vierten Scotch.
Der nächste Redner war der Präsident des Commerce Council, der auf viele erbitterte Schlachten mit Prozessanwälten zurückblicken konnte. Er sprach beredt von den tiefgreifenden Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds in Mississippi. Plötzlich schmiedeten neue und alte Unternehmen kühne Pläne und gingen Risiken ein, die sie früher aus Angst vor einem Rechtsstreit gemieden hätten. Ausländische Firmen sähen sich nach Standorten im Bundesstaat um. Danke, Ron Fisk.
Über Nacht habe Mississippi seinen Ruf als Brutstätte offensichtlich unbegründeter Klagen und Zuflucht für skrupellose Anwälte abgeschüttelt. Danke, Ron Fisk.
Viele Firmen entdeckten erste Anzeichen dafür, dass sich die Haftpflichtversicherungsprämien stabilisierten. Es sei noch zu früh für endgültige Aussagen, aber die Entwicklung sei vielversprechend. Danke, Ron Fisk.
Nachdem Richter Fisk so mit Lob überhäuft worden war, dass es schon fast peinlich wirkte, wurde er gebeten, selbst ein paar Worte zu sprechen. Er dankte allen für ihre Unterstützung im Wahlkampf. Mit seinen ersten drei Monaten am Gericht sei er sehr zufrieden, und er sei davon überzeugt, dass sich dort weiterhin eine Mehrheit gegen überzogene Haftungs- und Schadenersatzansprüche finden werde. (Donnernder Applaus.) Seine Kollegen seien intelligente, hart arbeitende Menschen, und er genieße die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Materie. Seine mangelnde Erfahrung sehe er keineswegs als Nachteil.
Dann bedankte er sich, auch im Namen von Doreen.
Am Freitagabend, auf der Heimfahrt nach Brookhaven, schwebten sie nach all der Anerkennung und Bewunderung noch auf Wolken. Als sie um Mitternacht zu Hause ankamen, schliefen die Kinder schon.
Nach sechs Stunden Schlaf erwachte Ron in panischer Hektik, weil er nicht wusste, wo er einen Catcher finden sollte. Die Tryouts für die Elf- und Zwölfjährigen begannen um neun Uhr. Der elfjährige Josh kam in die nächste Altersgruppe und würde zu den am höchsten eingestuften Neulingen in der Liga zählen. Wegen seiner anspruchsvollen Tätigkeit stand Ron als Cheftrainer nicht mehr zur Verfügung. Zu allen Trainings würde er es auch nicht schaffen, aber er hatte sich fest vorgenommen, kein Spiel zu versäumen. Für Pitcher und Catcher blieb er weiterhin zuständig. Einer der Partner aus seiner alten Kanzlei
Weitere Kostenlose Bücher