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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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und ihrer Anwälte geschossen. »Die haben alles gedeckt! Und jetzt lügen sie Ihnen ins Gesicht. Die lügen alle!«
    Bück hielt diese Rede laut beim Fahren, fast jeden Morgen. Es bereitete ihm einen eigentümlichen Trost, darüber zu sinnieren, was er hätte sagen sollen anstelle von dem, was er tatsächlich gesagt hatte. Ein Stück von seiner Seele und der größte Teil seiner Männlichkeit waren in diesem Gerichtssaal zurückgeblieben. In der Abgeschlossenheit seiner Fahrerkabine herumzubrüllen hatte etwas Therapeutisches.
    Ganz im Gegensatz zu diesen täglichen Fahrten nach Bowmore. Er stammte nicht von dort und hatte die Stadt nie gemocht. Nach dem Verlust seiner Arbeit war ihm nichts anderes übrig geblieben, als wegzuziehen.
    Dort, wo der Highway in die Main Street überging, bog er rechts ab und fuhr vier Straßenblocks weit bis zu der Verteilerstelle, für die sich in Bowmore der schmucklose Beiname »Tank« eingebürgert hatte. Sie lag direkt unterhalb des alten Wasserturms, dessen Metallwände das verseuchte Wasund hatte sogar ein Lächeln für Mary Grace übrig, die ihn jedoch ignorieren konnte, da sie ins Gespräch mit ihrer Mandantin vertieft war. Jeannette Baker sah immer noch mitgenommen aus, aber wenigstens weinte sie nicht.
    Kurtins Untergebenenstab raschelte für mehrere Hundert Dollar pro Stunde und Mann mit Papier, während Rechtsanwalt Frank Sully, der ortsansässige Anwalt, missmutig zusah. Das war doch alles nur Theater. Richter Harrison würde Krane Chemical gegenüber nicht die geringste Milde walten lassen, und jeder wusste das.
    Auch andere sahen zu. Huffy nahm seinen gewohnten Platz ein, neugierig wie immer, nach wie vor nervös wegen des Darlehens und seiner Zukunft. Einige Reporter waren da und sogar ein Gerichtszeichner - derselbe, der schon bei der Hauptverhandlung dabei gewesen war und Gesichter so festgehalten hatte, dass niemand sie wiedererkennen konnte. Mehrere Anwälte potenzieller Kläger waren zugegen, die sich für den Verlauf des Verfahrens interessierten. Sie träumten von horrenden Entschädigungssummen, die sie reich machen würden, ohne dass sie wie die Paytons erst einmal einen ruinösen und kräftezehrenden Prozess hinter sich bringen mussten.
    Richter Harrison eröffnete die Sitzung und kam gleich zur Sache. »Freut mich sehr, Sie alle wiederzusehen«, begann er trocken. »Es wurden insgesamt vierzehn Anträge eingereicht - zwölf vonseiten der Verteidigung, zwei vonseiten der Kläger -, und ich beabsichtige, bis zwölf Uhr über alle entschieden zu haben.« Er fixierte Jared Kurtin, als wollte er ihn zum Widerspruch reizen.
    Dann fuhr er fort: »Ich habe alle Anträge und Schriftsätze gelesen, bitte verschonen Sie mich also mit Einzelheiten, die Sie bereits schriftlich niedergelegt haben. Mr Kurtin, Sie dürfen anfangen.«
    Der erste Antrag betraf die Wiederaufnahme des Verfahrens. Kurtin zählte im Schnelldurchlauf eine lange Reihe von Punkten auf, die seiner Mandantin im Verfahren von Nachteil gewesen seien, angefangen mit ein paar Geschworenen, die seiner Ansicht nach an die Luft gesetzt gehörten. Aber der Richter teilte seine Ansicht nicht. Nachdem sich Harrison eine Stunde lang Kurtins Begründung angehört hatte, wies er den Antrag auf Wiederaufnahme ab.
    Jared Kurtin hätte jeder andere Beschluss überrascht. Das hier war reine Routine. Die Schlacht war verloren - aber nicht der Krieg.
    Die anderen Anträge folgten und wurden minutenlang einfallslos begründet. Richter Harrison hörte sich jeden einzelnen an und beschied jedes Mal: »Antrag abgewiesen.«
    Als die Anwälte fertig, die Unterlagen eingepackt und alle Aktenkoffer geschlossen waren, wandte sich Jared Kurtin noch einmal an das hohe Gericht. »Euer Ehren«, sagte er, »es war mir ein Vergnügen. Ich bin sicher, dass wir in spätestens drei Jahren wieder hier stehen werden.«
    »Die Sitzung ist geschlossen«, verkündete Richter Harrison barsch und ließ sein Hämmerchen geräuschvoll auf die Unterlage prallen.
    Zwei Tage nach Weihnachten, an einem rauen, windigen Spätnachmittag, ging Jeannette Baker von ihrem Trailer aus durch Pine Grove zur Kirche und dem dahinter liegenden Friedhof. Sie küsste den schmalen Stein an Chads Grab und setzte sich dann auf den Boden, um sich gegen den Grabstein ihres Mannes Pete zu lehnen. Sein Todestag jährte sich heute zum fünften Mal.
    In diesen fünf Jahren hatte sie gelernt, bei den guten Erinnerungen zu verweilen. Dennoch wurde sie die bösen niemals los:

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