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Die Beschleunigung der Angst

Die Beschleunigung der Angst

Titel: Die Beschleunigung der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Acker
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Tränen
in ihre Kanäle zurückdrängen und hob schließlich den Kopf.
    »In Ordnung. Nur eine
Viertelstunde, dann bin ich wieder der Alte.«
    Marco drückte ihm die
Schulter wie ein großer Bruder, der seinem jüngeren Geschwisterchen deutlich
machen will, dass er die verschüttete Milch aufwischen würde, bevor die Mutter
etwas davon mitbekam.
    »Genau. Ruh dich erstmal
aus.«
    Keiler verließ den Raum.
Einen Moment sagte niemand etwas. Selbst Kurt war ruhig. Wahrscheinlich
überlegte er seinen nächsten Schritt. Erst nachdem die Flügeltür hinter Keiler
hart an den Rahmen schlug, kam Bewegung in den Ballsaal.
    Marco sah zu Piet, aus
dessen Mund immer noch Blut lief und sich auf der Matratze zu einer hässlichen
Pfütze sammelte.
    »Scheiße«, sagte Marco. »So
eine verdammte Scheiße.«
    Yvonne trat neben ihn,
berührte seinen Arm.
    »Wir müssen uns was mit
Keiler überlegen. Er ist eine tickende Bombe. Erst die Scheiße in der Bank,
jetzt das hier. Zum Glück hört er wenigstens auf dich.«
    Marco nickte abwesend.
    »Ich weiß. Ich hätte nicht
weggehen dürfen. Ich habe nicht daran gedacht, wie das hier auf ihn wirken
musste. Ich habe nicht an seine Schwester gedacht.«
    »Bisschen spät, das zu
ändern, Langer«, sagte Kurt. »Piet da hinten bringen deine Selbstvorwürfe
nichts mehr. Jetzt bist du so richtig schön am Arsch. Eigentlich kannst du dir
gleich deinen großen Kopf wegschießen, wie Keiler es mit diesem armen Tropf
gemacht hat.«
    Marco wandte sich an Yvonne.
    »Kannst du dem bitte das
Maul stopfen?«
    Yvonne hob ihre Pistole und
sah ihren Liebhaber und Wortführer fragend an.
    »Nein, nicht erschießen.
Stopf ihm nur irgendwas in sein dreckiges Maul. In der Tasche ist Klebeband.«
    Die Bankangestellte beugte sich
über die schwarze Sporttasche, die Marco getragen hatte, als er den Ballsaal
betrat. Sie öffnete den Reißverschluss und hob eine Pappschachtel heraus.
    »Vorsichtig«, sagte Marco.
    Yvonne nickte, legte das
Behältnis auf den Boden und wühlte im Inneren der Tasche. Eine Minute später
hielt sie eine schallplattengroße Kleberolle von der Art, wie sie in Baumärkten
verkauft wurden, in die Luft. In der anderen Hand hielt sie ein Stoffbündel.
Daniel vermutete, dass es sich um ihre Strumpfhose handelte, die sie mit
Sicherheit in der Bank getragen, nach dem Überfall jedoch gegen die bequemere
Armeehose getauscht hatte. Mit ruhigen, geradezu andächtigen Bewegungen
beförderte sie die Schachtel wieder in die Sporttasche, zog den Reißverschluss
zu und lief zu Kurt.
    »Mach den Mund auf«, sagte
sie.
    Der Polizist schüttelte den
Kopf.
    »Ich habe gesagt, dass du
den Mund öffnen sollst.«
    Kurt grinste zahnlos.
    Yvonne sah zu Marco, der,
scheinbar immer noch grübelnd, an die Oberfläche tauchte und seine Waffe zog. Er
ging zum Polizisten und drückte ihm die Mündung der Pistole tief in die Wange.
    »Mach dein verdammtes Maul
auf oder ich schieße dir ein neues Loch in den Kopf!«
    Kurt lächelte weiter, ohne
die Lippen zu bewegen. Seine Augen waren dunkle Felsen, kantig und rau.
    Marco löste die Pistole von
der Wange des Polizisten und schoss wenige Zentimeter neben Kurts Kopf in die
Wand. Aus Hip-Hop wurde Hip-Ho, und eine Gipswolke hüllte den Kopf des
Polizisten ein.
    »Ja, so kenne ich euch«,
sagte der Gefesselte. »Immer schnell mit ...«
    Weiter kam er nicht, denn
Yvonne drückte ihm die Strumpfhose so weit in den Mund, dass er würgen musste.
Einen schrecklichen Moment war Daniel davon überzeugt, dass der Polizist
ersticken würde. Doch Kurt fing sich, atmete so laut durch die Nase, dass
Daniel es an der gegenüberliegenden Wand hören konnte. Es erinnerte ihn an
einen Zeichentrickstier, der Dunstwolken aus den Nüstern schnaubte und mit den
Hufen scharrte, bereit, den vor ihm hin und her tänzelnden Torero auf die
Hörner zu nehmen. Mit dem Unterschied, dass Stier Kurt an Handschellen an einem
Abwasserrohr gefesselt war.
    Yvonne riss zwei Streifen
von der Rolle des breiten Klebebands und fixierte sie über den Mund des
Polizisten.
    »Danke«, sagte Marco.
    Yvonne zuckte die Schultern.
    »Mir ging er auch ganz schön
auf den Sack.«
    Marco schien bereits wieder
in Gedanken versunken. Er hockte sich neben die Sporttasche und blickte an
einen Punkt an die Decke über Piets Leichnam, als würde er dort wichtige
Informationen über ihr weiteres Vorgehen finden.
    Daniels Armmuskeln
protestierten nicht mehr, sie streikten jetzt. Sie fühlten sich an, als hätte
er Tonnen Kaminholz

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