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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Lord
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würde wenigstens für meine Freundin ein glückliches Ende nehmen.
    Joral beugte sich vor und sagte mit todernster Miene: »Der Abschied scheint Ihnen sehr nahezugehen. Sie dürfen ruhig weinen, wenn Ihnen danach zumute ist, Regierungsvertreterin Delarua. Wir werden deshalb nicht schlecht von Ihnen denken. Wir wissen ja, dass solche Reaktionen bei terranischen Frauen sehr verbreitet sind.«
    »Ich bin aber Cygnierin«, fuhr ich ihn an. »Und ich hatte nicht vor zu weinen.« Glauben Sie mir, es gibt nichts Peinlicheres, als in Gegenwart eines Sadiri rührselig zu werden. Man kommt sich richtig bescheuert vor.
    Dllenahkh räusperte sich dezent. »Regierungsvertreterin Delarua, Sie deuteten einmal an, mein Antrag, Sie dieser Mission zuzuweisen, hätte Ihr Leben ver kompliziert. Sie fangen doch jetzt nicht etwa an, die Komplikationen zu genießen?«
    »Das ist eine so gemeine und selbstgefällige Unterstellung, dass sie fast eines Cygniers würdig wäre, Dllenahkh«, schalt ich, aber mein verlegenes Grinsen gab ihm recht.
    Er richtete sich ein wenig auf und quittierte die versteckte Beleidigung mit einem kaum merklichen Hochziehen der Augenbrauen. Dann fuhr der Zug an, und wir waren auf dem Weg in unser großes Abenteuer: in einem Standardjahr einmal um die Welt.
    Elf Monate und achtundzwanzig Tage nach der Stunde null
    Die Standardzeit ist von sadirischen Piloten erfunden worden. Die meisten sadirischen Systeme sind klar und linear aufgebaut, so wie es einer zehnfingrigen Spezies entspricht. Anders die Zeit … die Zeit gehörte in eine höhere Sphäre. Sie war mit menschlichen Händen nicht zu fassen, nicht solange sie zugleich Grundlage des menschlichen Bewusstseins war. Die Zeit bestand aus Kreisen, ein komplexes Räderwerk, ein Standardjahr aus dreihundertsechzig Standardtagen eingerollt in zwölf Monate, die sich ihrerseits aus den kleinen Strudeln von zwölf Stunden Tag und zwölf Stunden Nacht, winzigen Minuten- und Sekundenkreiseln zusammensetzten, ein ewig zyklisches Atmen, Blinzeln und Schlagen.
    Jemandem zu unterstellen, er habe den Geist eines Piloten, war Beleidigung und Kompliment zugleich; es konnte heißen, der Betreffende sei unfähig, zwischen Prophezeiung, Erinnerung und einfachem Déjà-vu zu unterscheiden.
    Dllenahkh war sich bewusst, dass seit der Zerstörung seiner Heimat und seines Lebens fast ein Standardjahr vergangen war. Dieses Wissen war keine Erinnerung, sondern eher eine unbestimmte Angst vor einem möglichen Tod, einem Tod, der erst noch kommen musste. Er verdrängte den Gedanken und das Gefühl, solange er noch atmen konnte, und richtete sein Denken stattdessen auf die Gegenwart. Der Zug vibrierte sacht, das satte Schwarz einer mondlosen Nacht in unbewohntem Gelände füllte die Fenster. Delarua hatte sich bereits in den Schlafwagen zurückgezogen und ihn und Joral mit ihrer Arbeit allein gelassen. Lange schaute Dllenahkh hinaus in die tröstliche Dunkelheit, bevor er sich zwang, wieder auf sein Terminal zu blicken. Die Beleuchtung im Abteil war zu schwach und der Bildschirm zu hell – doch er gestand sich ein, dass ihm das Sehen nicht unbedingt deshalb schwerfiel. Die leichte Spannung um seine Augen konnte auch daher rühren, dass er allzu angestrengt auf die Berichte und Schriftsätze starrte, so als wollte er sie zwingen, die Welt zu erschaffen, die er ersehnte.
    Hinter verschlossenen Türen hatte der Rat so kleinkariert und planlos über den Missionsantrag gestritten, als wollte er den unreifen Burschen, die er zu repräsentieren und zu regieren vorgab, Konkurrenz machen. Andererseits ging es nach allem, was er gehört und gesehen hatte, in der Regierung von Neu-Sadira nicht viel anders zu, was er in gleichem Maße beruhigend wie bestürzend fand. Hätte die cygnische Regierung auch nur eine Spur Zurückhaltung an den Tag gelegt, man hätte die Mission endgültig abgeblasen, doch dort war man mit Begeisterung dabei gewesen und hatte so viele Spezialisten, Fördermittel und Sachzuwendungen aufgeboten, dass das Projekt eine unaufhaltsame Eigendynamik entwickelte und selbst die zynischsten Ratsherren zugänglicher wurden.
    Hoffnung: Das war der Schlüssel. Sie alle griffen verzweifelt nach jedem Strohhalm, um sich vor dem Ertrinken zu retten, und dies war nur ein neues Bündel Halme. Ein Kampf bis zur Erschöpfung. Doch sie hatten keine andere Wahl. Naraldi sagte, sie müssten vorwärtsgehen – ja, immer weiter, Strohhalm für Strohhalm. In Anbetracht der Umstände erschien das wie

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