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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Lord
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hatten, damals, als ich noch dachte, das Ich liebe dich sei für immer. Ich träumte, ich wäre nie fortgegangen, ich sah mich an Marias Stelle, Rafi war tatsächlich mein Sohn. Das machte mich wütend und verstörte mich. Die Fähigkeit, im Denken eines anderen zu lesen, schützt nicht davor, seine Gedanken misszuverstehen. So war es, ich wusste es nur zu gut, und deshalb hatte ich ihn nicht geheiratet. Warum also träumte ich jetzt wieder von ihm?
    Ich ging ihm aus dem Weg und hielt mich mehr an Maria. Ihretwegen war ich schließlich gekommen.
    Hätte mich jemand gefragt, wonach ich eigentlich suchte, ich hätte keine Antwort gewusst. So manches erkennt man mehr durch Intuition als mit dem Verstand. Ich redete mir ein, ich wollte mich lediglich vergewissern, dass Maria glücklich sei und Ioan sie anständig behandle, aber wenn ich ehrlich war, ging mir ihre unerschütterliche Zufriedenheit allmählich auf die Nerven. Deshalb und wegen der Träume hatte ich meistens ein schlechtes Gewissen und ärgerte mich über mich selbst. Doch als wir eines Nachmittags nach einem üppigen Sonntagsmahl im Wohnzimmer saßen und die Kinder auf dem Teppich lagen und Karten spielten, ging Ioan ein klein wenig zu weit.
    »Weißt du, wir könnten auf unserem Anwesen ein weiteres Paar Hände gut gebrauchen«, sagte Maria. »Diesen Sadiri hilfst du dabei, sich einzugewöhnen. Meinst du nicht, die eigene Familie sollte Vorrang haben?« Ihr Lächeln wirkte seltsam starr.
    Ich zog die Stirn in Falten. »Warum sagst du so etwas? Du weißt doch, dass es nicht stimmt.«
    »Dann erkläre es mir. Hier hast du Menschen, die dich lieben und dich gern in ihrer Familie haben möchten, und du benimmst dich, als könntest du unseren Anblick kaum ertragen!« Die Stimme versagte ihr.
    Rafi zuckte zusammen. Er sah sie nicht an, aber er hörte aufmerksam zu. Gracie stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Ioan richtete sich auf und wollte seiner Frau beschwichtigend die Hand auf die Schulter legen, schien es sich dann jedoch anders zu überlegen.
    »Maria, was redest du da für einen Unsinn!«, rief ich. Entsetzt sah ich, dass sie den Tränen nahe war. »Was ist denn los mit dir?«
    »Du kannst ihn haben, wenn du willst. Das allein hält dich doch von uns fern. Du kannst Ioan haben«, schrie sie, ohne auf die Kinder Rücksicht zu nehmen.
    Ich war wie vom Donner gerührt. Als sie schließlich in Tränen ausbrach, wusste ich Bescheid. Ioan ging zu ihr und redete leise auf sie ein. Sie stand auf und verließ das Zimmer, ohne jemanden anzusehen, und wenig später folgte ihr Gracie, immer noch schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht. Rafi blieb und starrte seinen Vater an. In seinen weit aufgerissenen Augen stand fast so etwas wie Angst.
    Ich wusste, wie ihm zumute war, denn auch ich wandte den Blick nicht von Ioan. »Das warst du. Ich weiß , dass du es warst.« Ich stand auf und wich zurück.
    »Ich wollte nicht, dass sie sich so hineinsteigert. Sie war schon immer etwas zu leicht zu beeinflussen«, antwortete Ioan mit einem traurig süßen Lächeln.
    »Du Dreckskerl«, fuhr ich ihn an. »Ich hatte dich gewarnt – wenn du ihr wehtust, wenn du irgendjemandem aus meiner Familie wehtust, bekommst du es mit mir zu tun!«
    »Ich tue ihnen nicht weh«, beteuerte er. »Ich sorge gut für sie. Sie sind glücklich.«
    »Glücklich wie Marionetten«, fauchte ich und hielt krampfhaft meine rechte Hand fest, um ihn nicht zu ohrfeigen. »Ich sollte dich den Behörden melden.«
    »Das wirst du nicht tun«, sagte er schlicht. »Du liebst mich nämlich. Hast nie damit aufgehört.«
    »Bei mir wirkt es nicht, Ioan. Es hat noch nie gewirkt, und deshalb konntest du mich auch nicht halten. Und weil du obendrein ein kleines Problem mit der Aufrichtigkeit hast. Du willst ein einfaches Leben, nicht wahr? Alles und alle sollen genau so sein, wie du es gern hast.«
    »Es war ein Fehler, Shadi, ich liebe dich wirklich. Ich hätte dich damals nicht gehen lassen dürfen. Ich möchte, dass du bleibst. Wir alle wollen das. Warum siehst du das denn nicht?«
    Jetzt flehte er in seiner Verzweiflung nur mit Worten und Gesten, doch darin hatte er keine Übung.
    Mein Blick ruhte auf dem einen Menschen im Raum, dem ich vertraute. Er sah hilflos zu mir auf.
    »Rafi liebt mich so sehr, dass er bereit ist, mich gehen zu lassen«, erklärte ich. »Das ist alles, was ich sehe.«
    Rafi sprang auf und fasste nach meiner Hand. Wir rannten aus dem Haus. Ich wusste nicht, wo wir hinlaufen

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