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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Lord
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Unterhaltungsprogrammen bei, von denen ich sicher war, dass sie ihm gefallen würden. Ich glaube nicht, dass seine Eltern wussten, wie oft wir korrespondierten. Er hatte mich gebeten, ihnen nichts davon zu sagen, und ich tat ihm den Gefallen, denn insgeheim fand ich es schön, die Lieblingstante zu sein. Ich träumte davon, dass wir gemeinsam verreisen würden, wenn er älter und ich im Ruhestand und vollends exzentrisch wäre. Dann würden wir auf Elefanten durch die Savanne reiten, uns der Besatzung eines Segelschiffs anschließen oder etwas ähnlich Verrücktes unternehmen.
    Es ist albern, deshalb sprach ich es nie laut aus, aber ich hatte immer das Gefühl, solange ich Rafi hätte, bräuchte ich keine eigenen Kinder.
    »Du hast mich seit einer Ewigkeit nicht mehr besucht«, beklagte er sich und zog mich an der Hand zum Wohnhaus.
    »Jetzt bin ich doch hier«, lachte ich. »Junge, heb das Obst auf. Du kannst den Eimer nicht einfach so auf der Straße liegen lassen.«
    Er schnitt eine Grimasse und lief schnell hin, um die verstreuten Früchte einzusammeln. Als er zurückkam, schnappte ich mir eine aus dem Eimer. Unter den Sternfrüchten waren auch Mangos, und ich hatte seit Jahren keine richtige Montserrat-Mango mehr gegessen. Sie war warm und verbreitete einen köstlichen Duft, als ich sie an meine Wange hielt.
    »Ahhh«, seufzte ich.
    »Du bräuchtest mich nur öfter zu besuchen, dann könntest du so viele davon haben, wie du wolltest«, bemerkte Rafi spitz.
    Ich lächelte ihn an und freute mich über seine saubere, ehrliche Entrüstung, die versteckte Schmeichelei, den pubertären Sarkasmus. »Ich hab dich auch lieb.«
    »Vielleicht sollte ich nach Tlaxce ziehen«, tippte er an, während wir weiter auf das Haus zugingen.
    »Vielleicht«, sagte ich und freute mich noch mehr. Als ob Maria ihren Goldjungen jemals aus den Augen lassen würde – aber immerhin hatte er darüber nachgedacht.
    Maria trat auf die Veranda. Sie trug ein blaues Baumwollkleid und sah mit Klein-Gracie, die an ihrem Rock hing und noch am Daumen lutschte, sehr matronenhaft und hausfraulich aus. Sie wirkte älter als ich, auf eine Weise, wie man nur mit zwei Kindern und in einem Leben als Siedler altern kann, aber glücklich, glücklich über meinen Besuch und im Allgemeinen. Ich schloss sie fest in die Arme. Gracie fuhr ich liebevoll mit der Hand durch das Haar. Für eine Umarmung schien sie mir im Moment noch zu scheu zu sein. Sie kannte mich ja kaum.
    »Oh, Grace«, seufzte Maria und führte mich lächelnd ins Haus. »Nur zwei Tage?«
    »Ich kann von Glück reden, dass es wenigstens so viele sind«, erwiderte ich und überließ Rafi meine kleine Tasche. Das Wohnzimmer war voll mit Erinnerungsstücken, lauter Dingen, die meine Mutter weggegeben hatte, als sie nach Papas Tod die Siedlung verlassen hatte und in eine Wohnanlage am Tlaxce-See gezogen war.
    »Sieh mal, wer da ist, Ioan!«, rief Maria.
    Er trat ins Zimmer, staubig und verschwitzt von der Arbeit im Freien. Das braune Haar trug er inzwischen länger, es reichte ihm bis auf die Schultern, und die Sonne hatte die hellen Strähnen noch mehr ausgebleicht. Er war immer noch sehnig, immer noch gut aussehend, immer noch golden. Ich war einmal mit ihm verlobt gewesen. Mir blieb fast das Herz stehen, als eine Woge halb vergessenen Begehrens von ihm ausging und über mir zusammenschlug. Eine fast übermenschliche Wärme strahlte aus seinen Augen, und in seiner Stimme glaubte ich, ein Flüstern zu hören … Shadi . Wie stark musste die Erinnerung sein, wenn sie ein so lautes Echo erzeugte?
    »Hallo, Ioan«, sagte ich und lächelte voller Stolz darüber, wie normal meine Stimme klang.
    »Shadi«, gab er zurück und setzte ein breites, strahlendes Grinsen auf. Er hatte mich immer mit meinem zweiten Namen angesprochen. Mit ein paar raschen Schritten war er bei mir, umarmte mich und hob mich vor lauter Begeisterung einen halben Meter vom Boden hoch. »Du bist zurückgekommen. Ich wusste, dass du zurückkommen würdest.«
    »Aber nur«, stieß ich atemlos hervor und schaute über seine Schulter in Marias glückliches Gesicht, »für kurze Zeit.«
    Er trat jäh zurück und musterte erschrocken meine Uniform. »Mann, ich bin ganz verdreckt. Tut mir leid.« Er wischte über ein paar rötliche Flecken auf meinem Hemd und meiner Hose. Der Lehm auf seiner Kleidung hatte seine Spuren hinterlassen.
    »Keine Sorge. Wird sowieso höchste Zeit, dass ich mich umziehe«, sagte ich und schob sanft seine Hände

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