Die Bestie von Florenz
unbewussten Geste der Selbstbewunderung darüber. Ein vierblättriges Kleeblatt war auf seinen linken Arm tätowiert, zwei ineinander verschlungene Herzen auf den rechten; mitten über seine Brust verlief eine dicke Narbe. Er sprach mit einer tiefen, rauchigen, fesselnden Stimme, die an den jungen DeNiro in Taxi Driver erinnerte. Seine schwarzen Augen wirkten lebhaft, der Blick entspannt, und er schien sich über unseren unerwarteten Besuch zu amüsieren.
Spezi begann lässig mit dem eigentlichen Thema und zog ein Diktiergerät aus der Tasche. »Darf ich das benutzen?«, fragte er.
Antonio ließ die Muskeln schwellen und lächelte. »Nein«, sagte er. »Ich hüte meine Stimme eifersüchtig: Sie ist zu samten, zu volltönend, um in so ein Kästchen gesperrt zu werden.«
Spezi steckte das Gerät wieder weg und erklärte, ich sei ein Journalist vom New Yorker und schreibe einen Artikel über den Fall der Bestie. Dieses Interview sei Teil einer Serie, reine Routine, denn wir sprächen mit allen noch Lebenden, die eine Verbindung zu dem Fall hatten. Antonio schien sich mit dieser Erklärung zufriedenzugeben und wirkte völlig gelassen.
Spezi begann mit allgemeinen Fragen, stellte eine freundschaftliche, lockere Atmosphäre her und machte sich handschriftlich Notizen. Antonio hatte den Fall aufmerksam verfolgt und kannte sich erstaunlich genau mit den Fakten aus. Nach einigen eher oberflächlichen Fragen nahm Spezi Kurs auf das eigentliche Ziel.
»Wie war Ihre Beziehung zu Ihrem Onkel, Francesco Vinci?«
»Wir standen uns sehr nahe. Eine eisern verbundene Freundschaft.« Er zögerte einen Augenblick und sagte dann etwas Unglaubliches. »Spezi, ich möchte Ihnen einen Knüller mitgeben. Wissen Sie noch, dass Francesco verhaftet wurde, weil er sein Auto versteckt hatte? Tja, ich war in dieser Nacht bei ihm! Davon hat bis heute niemand gewusst.«
Antonio bezog sich auf die Nacht des Doppelmords in Montespertoli, in der Nähe der Burg Poppiano, im Juni 1982. Damals hatte Antonio sechs Kilometer vom Tatort entfernt gewohnt. Dieses Verbrechen hatte dazu geführt, dass Francesco Vinci als Bestie von Florenz verhaftet wurde, und eines der wichtigsten belastenden Indizien war die Tatsache, dass er etwa um die Zeit des Mordes herum sein Auto im Wald versteckt hatte. Dies war tatsächlich eine Sensation: Wenn Antonio in jener Nacht mit Francesco zusammen gewesen war, dann hatte Francesco ein Alibi gehabt, das er jedoch nie vorgebracht hatte – stattdessen hatte er ganz unnötig zwei Jahre im Gefängnis verbracht.
»Aber dann hatte Ihr Onkel Francesco ja einen Zeugen, der ihn hätte entlasten können!«, entgegnete Spezi. »Sie hätten vielleicht verhindern können, dass Francesco beschuldigt wurde, die Bestie zu sein, und jahrelang im Gefängnis saß! Warum haben Sie damals nichts gesagt?«
»Weil ich mich nicht in seine Angelegenheiten hineinziehen lassen wollte.«
»Lieber haben Sie ihn zwei Jahre im Gefängnis absitzen lassen?«
»Er wollte mich schützen. Und hatte Vertrauen in die Justiz.«
Vertrauen in die Justiz . Eine absolut unglaubwürdige Behauptung aus seinem Munde. Spezi setzte nach.
»Und wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater Salvatore?«
Das leichte Lächeln auf Antonios Gesicht schien ein wenig zu gefrieren, aber nur ganz kurz. »Wir haben uns nie gut verstanden. Unvereinbare Charaktere, könnte man wohl sagen.«
»Gab es denn bestimmte Gründe dafür, dass Sie und er sich nicht mochten? Haben Sie Salvatore Vinci vielleicht für den Tod Ihrer Mutter verantwortlich gemacht?«
»Nicht direkt. Aber ich habe mal etwas darüber gehört.«
»Ihr Vater hatte seltsame sexuelle Gewohnheiten. Waren die vielleicht der Grund, weshalb Sie ihn gehasst haben?«
»Damals wusste ich noch nichts davon. Ich habe erst später von seinen …« Er zögerte. »… Vorlieben erfahren.«
»Aber Sie hatten ein paarmal ernsthaften Streit mit ihm. Schon, als Sie noch sehr jung waren. Im Frühling neunzehnhundertvierundsiebzig beispielsweise hat Ihr Vater Sie angezeigt, weil Sie sein Haus ausgeraubt hätten …« Spezi machte eine nonchalante Pause. Dies war eine entscheidende Frage: Die Antwort würde bestätigen, dass es das fehlende Dokument geben musste – falls Salvatore Vinci tatsächlich Anzeige gegen Antonio erstattet hatte, kurz bevor die Bestie zu morden begann.
»Das stimmt so nicht ganz«, antwortete Antonio. »Da er nicht sagen konnte, ob ich etwas gestohlen hatte, wurde mir nur Hausfriedensbruch vorgeworfen.
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