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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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bei den Ferox scheinen ihn nicht zu kümmern; genau diese Haltung ist typisch für jemanden, der ein Altruan ist. Ich werde aus ihm einfach nicht schlau.
    Er sagt: » Ich habe eine Theorie, wonach Selbstlosigkeit und Tapferkeit eigentlich dasselbe sind. Dein ganzes Leben lang hast du dich darin geübt, dich selbst zu vergessen, und genau das geschieht, wenn man in Gefahr schwebt. Man vergisst sich selbst. Man könnte also ebenso gut zu den Altruan wie zu den Ferox gehören.«
    Mir wird plötzlich ganz schwer ums Herz. Ein Leben lang der Einübung hat bei mir nichts bewirkt. Mein erster Impuls ist immer noch, mich selbst zu retten.
    » Ja, mag sein. Aber ich habe die Altruan verlassen, weil ich nicht selbstlos genug bin, egal, wie sehr ich mich darum bemühe.«
    » Das stimmt nicht ganz.« Er lächelt mich an. » Ich kenne ein Mädchen, das auf sich selbst mit Messern werfen ließ, um ihren Freund zu verschonen, und das meinen Vater mit einem Gürtel schlug, um mich zu beschützen– kennst du dieses selbstlose Mädchen nicht auch?«
    Er weiß mehr über mich als ich selbst. Und auch wenn es fast unmöglich scheint, dass er etwas für mich empfindet angesichts dessen, was ich alles nicht bin… vielleicht ist es doch möglich.
    » Du hast mich sehr aufmerksam beobachtet, stimmt’s?«, frage ich vorsichtig.
    » Ich beobachte gern andere Menschen.«
    » Vielleicht bist du in Wahrheit ein Candor, Four. Du lügst nämlich entsetzlich schlecht.«
    Er legt seine Hand auf den Felsen, dicht neben meine. Seine Finger sind lang und schlank. Hände, die für feine, Geschick erfordernde Tätigkeiten geschaffen sind. Keine typischen Ferox-Hände, nicht klobig und derb und jederzeit bereit, etwas kaputt zu machen.
    » Also gut.« Er beugt sich näher zu mir, sein Blick wandert über meine Wangen, meine Lippen, meine Nase. » Ich habe dich beobachtet, weil ich dich sehr mag.« Er sagt es freiheraus und blickt mir offen in die Augen. » Und nenn mich nicht mehr Four. Es ist schön, meinen richtigen Namen wieder zu hören.«
    Einfach so hat er es mir gestanden, und ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Meine Wangen werden heiß, und alles, was mir dazu einfällt, ist: » Aber du bist doch älter als ich… Tobias.«
    Er grinst amüsiert. » Ja, eine riesige Lücke von zwei Jahren klafft zwischen uns, geradezu unüberwindlich.«
    » Ich will keine falsche Bescheidenheit an den Tag legen«, sage ich. » Ich kapier’s einfach nicht. Ich bin jünger. Ich bin nicht hübsch. Ich…«
    Er lacht, ein tiefes Lachen, das tief aus seinem Inneren kommt, und er haucht mir einen Kuss auf die Schläfen.
    » Tu nicht so«, sage ich mit belegter Stimme. » Du weißt, dass ich es nicht bin. Ich bin nicht direkt hässlich, aber ich bin auch nicht hübsch.«
    » Schön, du bist also nicht hübsch. Na und?« Er küsst mich auf die Wange. » Mir gefällst du. Du bist unheimlich klug. Du bist mutig. Und obwohl du das mit Marcus herausgefunden hast…«, seine Stimme wird leiser, » …schaust du mich nicht an wie einen geprügelten Hund oder so.«
    » Nein, das bist du ja auch nicht.«
    Für einen Moment blickt er mich schweigend aus seinen dunklen Augen an. Dann berührt er mein Gesicht und beugt sich zu mir. Der Fluss tost, die Gischt klatscht an meine Beine. Er lächelt und dann treffen seine Lippen auf meine.
    Zuerst bin ich völlig verkrampft und unsicher, und als er aufhört, mich zu küssen, fürchte ich, etwas falsch oder schlecht gemacht zu haben. Aber er nimmt mein Gesicht in beide Hände, seine Finger halten mich fest, und er küsst mich wieder, heftiger diesmal. Ich schlinge meine Arme um ihn, streiche über seinen Nacken und durch seine Haare.
    Minutenlang küssen wir uns am Fuß der Schlucht, eingehüllt vom Brausen des Flusses. Und als wir wieder hinaufsteigen, Hand in Hand, trifft mich die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich genauso gekommen wäre, wenn wir beide uns für eine andere Fraktion entschieden hätten. Nur dass es an einem sicheren Ort geschehen wäre und wir graue Kleider getragen hätten statt der schwarzen.

27 . Kapitel
    Am nächsten Morgen bin ich albern und beschwingt. Jedes Mal, wenn ich mich bemühe, eine ernste Miene zu machen, kehrt das Lächeln sofort wieder in mein Gesicht zurück. Irgendwann gebe ich es auf, ernst zu bleiben. Ich trage die Haare offen und habe die weiten T-Shirts im Schrank gelassen und stattdessen ein schulterfreies Oberteil gewählt, das meine Tattoos frei lässt.
    » Was ist heute mit

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