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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Einführungszeremonie der Altruan Jahr für Jahr angesehen. Es ist eine stille Angelegenheit. Die Initianten, die dreißig Tage lang der Allgemeinheit dienen müssen, ehe sie richtige Mitglieder werden, sitzen nebeneinander auf einer Bank. Ein älteres Mitglied liest das Manifest der Altruan vor, einen kurzen Text, der davon handelt, wie man sich selbst vergisst und welche Gefahren die Selbstsucht mit sich bringt. Dann waschen die Älteren den Initianten die Füße, danach sitzen alle gemeinsam bei Tisch und jeder reicht das Essen dem weiter, der zu seiner Linken sitzt.
    Bei den Ferox ist das ganz anders.
    Die Einführungszeremonie stürzt das Hauptquartier der Ferox in Wahnsinn und Chaos. Es wimmelt von Menschen und die meisten sind bereits am Nachmittag betrunken. Ich kämpfe mich durch die Menge, hole mir einen Teller mit Essen und gehe damit in den Schlafsaal. Unterwegs werde ich Zeuge, wie jemand von einem Felssteig hinunterstürzt. Sein Schrei und die Art, wie er nach seinem Bein greift, lassen vermuten, dass er sich etwas gebrochen hat.
    Wenigstens im Schlafsaal ist es ruhig. Ich starre auf meinen Teller mit Essen. Ich habe das Erstbeste genommen, was mir gefiel. Bei genauerem Hinsehen stellt es sich als Hähnchenbrust, ein Löffelvoll Bohnen und ein Stück braunes Brot heraus. Ein schlichtes Altruan-Essen.
    Ich seufze. Ich bin eine Altruan, ob es mir nun passt oder nicht. Ich bin es, wenn ich nicht darüber nachdenke, was ich tue. Ich bin es, wenn ich geprüft werde. Ich bin es sogar dann, wenn ich Mut beweise. Bin ich doch in der falschen Fraktion?
    Beim Gedanken an meine ehemalige Fraktion fangen meine Hände an zu zittern. Ich muss meine Familie vor den Kriegsplänen der Ken warnen, aber ich weiß nicht wie. Ich werde einen Weg finden, wenn auch nicht heute. Heute muss ich mich auf das konzentrieren, was mir bevorsteht. Eines nach dem anderen.
    Ich esse ganz mechanisch, erst vom Hühnchen, dann Bohnen, dann Brot, dann das Gleiche von vorn. Es ist eigentlich egal, zu welcher Fraktion ich wirklich gehöre. In zwei Stunden werde ich mit den anderen zum Raum der Angstlandschaften aufbrechen, werde meine eigene Angstlandschaft durchschreiten, und danach bin ich eine richtige Ferox. Zur Umkehr ist es jetzt zu spät.
    Als ich mit dem Essen fertig bin, lege ich mich hin und vergrabe mein Gesicht in den Kissen. Eigentlich will ich nicht einschlafen, aber nach einer Weile tue ich es doch. Erst als Christina mich an der Schulter rüttelt, wache ich wieder auf.
    » Es ist Zeit.« Sie ist aschfahl im Gesicht.
    Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen. Meine Schuhe habe ich noch an. Um mich herum machen sich alle bereit. Sie binden Schuhe, knöpfen Jacken und geben sich dabei betont lässig. Ich fasse meine Haare zu einem Knoten zusammen, schlüpfe in meine schwarze Jacke und ziehe den Reißverschluss bis zum Hals hoch. Diese Quälerei ist bald vorbei, aber werden wir jemals vergessen, was wir in den Simulationen durchlitten haben? Können wir jemals wieder gut schlafen, trotz der quälenden Erinnerungen an unsere Ängste? Oder werden wir diese Ängste heute endgültig überwinden, so wie es eigentlich sein sollte?
    Gemeinsam gehen wir zur Grube und steigen den Pfad hinauf zum Glasturm. Ich lege den Kopf in den Nacken. Durch die Glasdecke fällt heute kein Licht, denn auf jedem freien Fleckchen sind Schuhsohlen. Fast meine ich, das Glas unter dem Gewicht ächzen zu hören, aber das bilde ich mir natürlich nur ein. Ich gehe mit Christina die Stufen hinauf, die vielen Leute erdrücken mich fast.
    Ich bin zu klein, um über die Köpfe hinwegsehen zu können, also starre ich auf Christinas Rücken und laufe stur hinter ihm her. Die Wärme so vieler Menschen erstickt mich fast. Schweißperlen treten auf meine Stirn. Durch eine plötzlich entstandene Lücke hindurch sehe ich endlich, um was sich alle scharen: um eine Reihe von Bildschirmen, die an der Wand links von mir hängen.
    Freudiges Gejohle ist zu hören. Auf dem linken Monitor ist ein schwarz gekleidetes Mädchen zu sehen, das sich gerade in einer Angstlandschaft befindet. Es ist Marlene. Sie bewegt sich, ihre Augen sind weit aufgerissen, aber ich kann nicht sagen, gegen wen oder was sie gerade kämpft. Zum Glück werden auch meine Ängste hier draußen nicht direkt zu sehen sein– nur meine Reaktion auf sie.
    Auf dem mittleren Bildschirm kann man Marlenes Herzfrequenz ablesen. Sie schnellt kurz in die Höhe, dann sinkt sie wieder. Als sie sich normalisiert hat,

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