Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Angst vor Motten?«
» Es waren nicht nur ein paar«, verteidigt sich Christina, » es war ein ganzer Schwarm. Sie waren überall. Diese Flügel und Beine und…« Sie schüttelt sich.
» Entsetzlich«, sagt Will mit gespieltem Ernst. » Das ist mein Mädchen. Hart wie ein Wattebäuschchen.«
» Ach, halt doch den Mund.«
Irgendwo quietscht ein Mikrofon, so laut, dass ich mir die Ohren zuhalte. Ich drehe mich um. Auf der anderen Seite des Saals steht Eric auf einem Tisch und klopft probehalber gegen das Mikrofon in seiner Hand. Als im Saal endlich Schweigen eingekehrt ist, räuspert er sich und fängt an zu sprechen.
» Wir sind alle keine großen Redner. Die schönen Ansprachen überlassen wir den Ken«, sagt er und hat sofort die Lacher auf seiner Seite. Ich frage mich, wie viel von ihnen wissen, dass er früher ein Ken war und dass er trotz seiner zur Schau gestellten Rücksichtslosigkeit, ja sogar Brutalität im Grunde ein Ken geblieben ist. Wenn sie das wüssten, würden sie vermutlich nicht darüber lachen.
» Ich werde mich also kurz fassen«, fährt er fort. » Wie in jedem Jahr haben wir auch diesmal wieder Initianten unter uns. Und bis auf einige wenige sind sie mit dem heutigen Tag neue Mitglieder unserer Fraktion. Wir gratulieren ihnen.«
Als er seinen Glückwunsch ausspricht, bricht die Hölle los. Statt zu applaudieren, klopfen alle mit den Fäusten auf die Tische. Der Lärm geht mir durch und durch, und ich kann mir nicht helfen, ich muss grinsen.
» Wir glauben an Mut und Tapferkeit. Wir glauben an die Tat. Wir glauben, dass wir frei von Angst jene Fertigkeiten erwerben, die es braucht, um das Böse aus der Welt zu vertreiben, damit das Gute wachsen und gedeihen kann. Wenn ihr ebenfalls daran glaubt, dann heißen wir euch willkommen.«
Obwohl ich genau weiß, dass Eric wahrscheinlich an nichts von alldem glaubt, ertappe ich mich bei einem Lächeln. Denn ich glaube daran. Egal, wie sehr die Anführer die Ideale der Ferox verraten haben, ich kann mich trotzdem mit diesen Idealen identifizieren.
Das Klopfen wird lauter, begleitet von begeistertem Gejohle.
» Morgen werden die besten zehn unserer Initianten ihre künftigen Aufgaben wählen, und zwar in der Reihenfolge ihrer Ergebnisse. Es wird ihre erste Handlung als Mitglied sein«, sagt Eric. » Ich weiß, dass ihr sehnlichst auf eure Ergebnisse wartet. Sie setzen sich aus drei Wertungen zusammen– die erste war euer Kampftraining, die zweite Wertung stammt aus den Simulationen und die dritte aus der abschließenden Prüfung, der Angstlandschaft. Das Endergebnis wird jetzt auf dem Bildschirm hinter mir erscheinen.«
Kaum hat er das gesagt, leuchten die Namen auf dem Bildschirm auf, der beinahe so groß ist wie die ganze Wand. Neben der Nummer eins sind mein Bild und der Name Tris.
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich habe ihn gar nicht bemerkt, erst jetzt, da er weg ist, spüre ich, dass er da war. Ein wohliges Kribbeln breitet sich bis in meine Fingerspitzen aus. Ich bin Erste. Unbestimmt oder nicht, dies ist die Fraktion, zu der ich gehöre.
Ich denke nicht mehr an den Krieg, ich denke nicht mehr an den Tod. Will umarmt mich wie ein Bär. Ich höre Jubeln, Lachen, Rufen. Christina zeigt auf den Bildschirm, ihre Augen sind weit aufgerissen.
Tris
Uriah
Lynn
Marlene
Peter
Peter bleibt. Ich unterdrücke einen Seufzer, aber dann lese ich die übrigen Namen.
Will
Christina
Ich bin so froh. Christina umarmt mich über den Tisch hinweg und lacht mir ins Ohr.
Irgendjemand packt mich von hinten und ruft etwas. Es ist Uriah. Ich kann mich nicht umdrehen, also strecke ich die Arme nach hinten und drücke ihn an der Schulter.
» Glückwunsch!«, rufe ich.
» Du hast sie geschlagen!«, ruft er zurück. Er lässt mich lachend los und läuft zu seinen eigenen Leuten.
Ich verrenke mir den Hals, um noch einmal auf den Bildschirm zu schauen.
Acht, neun und zehn sind Anfänger aus der Fraktion der Ferox, deren Namen ich kaum je gehört habe.
Nummer elf und zwölf sind Molly und Drew.
Molly und Drew müssen die Ferox verlassen. Drew, der feige abgehauen ist, als Peter mich über den Abgrund hielt, und Molly, die die Lügen der Ken über meinen Vater verbreitet hat, sind jetzt fraktionslos.
Es ist nicht ganz der Triumph, den ich mir gewünscht habe, aber dennoch ist es ein Triumph für mich.
Will und Christina küssen sich, ein bisschen zu leidenschaftlich für meinen Geschmack, und das Trommeln auf den Tisch will einfach nicht aufhören. Dann
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