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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Messer schneidet, aber ich spüre es. Der Schmerz ist so wild, dass ich schreie, obwohl ich die Zähne zusammengebissen habe. Ich quetsche Calebs Hand. Nur undeutlich höre ich Vater sagen, ich solle den Rücken locker lassen. Tränen quellen aus meinen Augenwinkeln, aber ich tue, was er sagt. Dann beginnt der Schmerz von Neuem. Ich spüre, wie er mir mit dem Messer unter die Haut fährt, und ich kann nicht aufhören zu schreien.
    » Ich hab sie«, sagt er. Mit einem Pling lässt er etwas auf den Boden fallen.
    Caleb blickt meinen Vater, dann mich an, dann lacht er. Ich habe ihn schon so lange nicht mehr lachen hören, dass ich weinen muss.
    » Was ist daran so lustig?«, frage ich schniefend.
    » Ich hätte nie gedacht, dass wir jemals wieder zusammenkommen«, sagt er.
    Mein Vater säubert mit etwas Kaltem die Haut um meine Wunde. » Jetzt wird genäht«, kündigt er an.
    Ich nicke. Er fädelt die Nadel ein, als hätte er es schon tausendmal gemacht.
    » Eins«, sagt er, » zwei… drei.«
    Ich beiße die Zähne aufeinander, aber diesmal schreie ich nicht. Von allen Schmerzen, die ich heute erleiden musste– als ich angeschossen wurde, als ich fast ertrunken wäre, als die Kugel entfernt wurde, der Schmerz, meine Mutter gefunden und wieder verloren zu haben, der Schmerz um Tobias–, ist dieser am leichtesten zu ertragen.
    Als mein Vater mit dem Nähen der Wunde fertig ist, schneidet er den Faden ab und legt einen Verband an. Caleb hilft mir aufzusitzen. Er zieht sich sein langärmeliges Hemd über den Kopf und reicht es mir. Darunter trägt er ein T-Shirt. Mein Vater hilft mir dabei, den bandagierten Arm durch den Ärmel zu bugsieren, den Rest schaffe ich allein. Das Hemd ist weit und weich und es riecht frisch, ganz so wie Caleb.
    » So«, sagt mein Vater leise. » Wo ist deine Mutter?«
    Ich schlage die Augen nieder. Ich möchte diese Nachricht nicht überbringen. Ich wünschte, ich wüsste nichts davon.
    » Sie ist tot«, antworte ich. » Sie hat mir das Leben gerettet.«
    Caleb schließt die Augen und holt tief Luft.
    Einen Moment lang ringt mein Vater um Fassung, dann wendet er sich ab und nickt. Seine Augen sind feucht.
    » Das ist gut«, stößt er hervor. » Ein guter Tod.«
    Wenn ich jetzt auch nur ein einziges Wort sage, breche ich zusammen, und das kann ich mir nicht erlauben. Deshalb nicke ich einfach.
    Eric hat Als Selbstmord mutig genannt, aber da irrt er sich. Der Tod meiner Mutter war mutig. Ich muss daran denken, wie ruhig und entschlossen sie war. Nicht nur, dass sie für mich gestorben ist, war mutig. Mutig war, dass sie es wie selbstverständlich und ohne zu zögern tat, als käme nichts anderes für sie infrage.
    Vater hilft mir aufzustehen. Es ist Zeit, es auch den anderen zu sagen. Meine Mutter hat mir aufgetragen, sie zu retten. Deshalb und weil ich eine Ferox bin, ist es meine Pflicht, die Initiative zu ergreifen. Aber ich weiß nicht, wie ich diese Verantwortung tragen soll.
    Marcus steht auf. Bei der Erinnerung, wie er mir in der Simulation mit dem Gürtel auf den Arm geschlagen hat, krampft sich mein Magen zusammen.
    » Auf Dauer sind wir hier nicht sicher«, sagt er. » Wir müssen die Stadt verlassen. Es wird das Beste sein, wenn wir zu den Amite gehen, in der Hoffnung, dass sie uns Unterschlupf gewähren. Weißt du etwas von der Strategie der Ferox, Beatrice? Werden sie die ganze Nacht hindurch kämpfen?«
    » Es ist nicht die Strategie der Ferox«, antworte ich. » Es ist die der Ken. Die Ferox sind nur Befehlsempfänger.«
    » Befehlsempfänger?«, wiederholt mein Vater. » Was willst du damit sagen?«
    » Ich will damit sagen, dass neunzig Prozent der Ferox im Moment wie Schlafwandler sind. Sie befinden sich in der Scheinwelt einer Simulation und wissen nicht, was sie tun. Ich bin nur deshalb diesem Schicksal entronnen, weil ich…« Ich zögere, das Wort auszusprechen. » Weil die Gehirnwäsche bei mir nicht wirkt.«
    » Gehirnwäsche? Sie wissen also gar nicht, dass sie im Begriff sind, Menschen zu töten?«, fragt mich mein Vater fassungslos.
    » Nein.«
    » Das ist… entsetzlich.« Marcus schüttelt den Kopf. Sein mitfühlender Ton klingt in meinen Ohren gekünstelt. » Wenn sie dann aufwachen und begreifen, was sie angerichtet haben…«
    Im Raum wird es still, wahrscheinlich stellen sich alle vor, wie es wäre, ein Ferox zu sein. Plötzlich habe ich eine Idee.
    » Wir müssen sie aufwecken.«
    » Was soll das heißen?«, fragt Marcus.
    » Wenn es uns gelingt, die Ferox aus

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