Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Als ich an ihm vorbeigehe, legt er mir die Hand auf den Rücken, um mich hinauszukomplimentieren. Dabei verharrt seine Hand einen Augenblick auf meinen Schulterblättern. Mich durchläuft ein Schauer. Hoffentlich merkt er es nicht.
Die anderen laufen den Gang hinunter, Zeke und Uriah einander schubsend, während Marlene ihren Muffin mit Shauna teilt. Lynn geht voran. Ich mache Anstalten, ihnen zu folgen.
» Warte mal kurz«, sagt Four.
Ich drehe mich zu ihm um, neugierig, welchen Four ich jetzt wohl zu sehen bekomme– den, der mich tadelt, oder den, der mit mir auf Riesenräder klettert. Er lächelt ein wenig, aber das Lächeln reicht nicht bis zu seinen Augen. Sein Blick ist ernst und voller Sorge.
» Du gehörst wirklich hierher, weißt du das?«, sagt er. » Du gehörst zu uns. Bald ist alles vorbei, also halte durch, okay?«
Er kratzt sich hinterm Ohr und schaut weg, als mache ihn das, was er eben gesagt hat, verlegen.
Ich spüre meinen Herzschlag im ganzen Körper, sogar in den Zehen. Ich kann jetzt etwas Verwegenes tun oder ganz einfach weggehen. Ich weiß nicht, was schlauer oder besser wäre, aber irgendwie ist es mir egal.
Ich strecke die Hand aus und ergreife seine. Seine Finger verschränken sich in meinen. Mein Atem stockt.
Eine Weile bleiben wir beide so stehen und schauen uns an. Dann ziehe ich die Hand weg und laufe hinter Uriah, Lynn und Marlene her. Vielleicht hält er mich jetzt für dumm oder durchgeknallt.
Vielleicht war es das aber auch wert.
Lange vor den anderen bin ich im Schlafsaal, und als sie nacheinander eintrudeln, liege ich im Bett und tue so, als ob ich schliefe. Ich brauche keinen von ihnen, erst recht nicht, wenn sie mir meinen Erfolg nicht gönnen. Wenn ich die Initiation schaffe, bin ich eine Ferox und muss nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben.
Ich brauche sie nicht– aber will ich nicht doch mit ihnen zusammen sein? Jedes meiner Tattoos ist ein Zeichen meiner Freundschaft mit ihnen, und beinahe jedes Mal, wenn mich hier an diesem düsteren Ort etwas zum Lachen brachte, geschah das ihretwegen. Ich will sie nicht verlieren. Aber vielleicht habe ich das schon längst.
Nachdem mir eine lange Zeit alles Mögliche durch den Kopf gegangen ist, rolle ich mich auf den Rücken und mache die Augen auf. Im Raum ist es jetzt dunkel– alle haben sich schlafen gelegt. Wahrscheinlich hat der Hass auf mich sie so erschöpft, denke ich mit einem bitteren Lächeln. Als wäre es nicht genug, dass ich aus der meistgehassten Fraktion komme– jetzt führe ich sie auch noch vor.
Ich stehe auf, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ich habe zwar keinen Durst, aber ich muss etwas tun. Meine nackten Füße machen schmatzende Geräusche beim Laufen, und ich taste mich an der Wand entlang, damit ich nicht stolpere. Über dem Trinkbrunnen gibt eine Glühbirne blaues Licht ab.
Ich streiche meine Haare zurück und beuge mich hinunter. Doch gerade als ich das Wasser auf den Lippen spüre, höre ich am Ende des Gangs Stimmen. Ich ducke mich tiefer und vertraue darauf, in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden.
» Bis jetzt gibt es keinerlei Anzeichen dafür.« Erics Stimme. Anzeichen wofür?
» Das wundert mich nicht«, antwortet jemand. Es ist die Stimme einer Frau, kalt und vertraut, aber so vertraut wie aus einem Traum, nicht wie von einer realen Person. » Das Kampftraining beweist gar nichts. Erst die Gesamtheit der Simulationen entlarvt, wer zu den unbestimmten Abtrünnigen gehört, und falls dies der Fall sein sollte, werden wir die Protokolle sorgfältig überprüfen, um absolut sicherzugehen.«
Bei dem Wort » unbestimmt« läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Den Rücken an die Wand gedrückt, strecke ich den Kopf vor, um zu sehen, wem die mir so vertraut erscheinende Stimme gehört.
» Vergiss nicht, aus welchem Grund ich dich Max vorgeschlagen habe«, sagt die Stimme. » Deine Hauptaufgabe besteht vor allem darin, sie aufzuspüren. Das hat absoluten Vorrang.«
» Keine Sorge, ich denke daran.«
Ich beuge mich ein kleines Stück nach vorn, aber nur so viel, dass man mich hoffentlich weiterhin nicht sehen kann. Wessen Stimme es auch immer ist, diese Frau zieht hier die Fäden. Sie hat Eric zu einem der Ferox-Anführer gemacht, und sie ist diejenige, die mich am liebsten tot sähe. Ich strecke den Kopf vor, um möglichst noch einen Blick zu erhaschen, ehe sie um die nächste Ecke biegen.
Plötzlich packt mich jemand von hinten.
Ich will schreien, aber eine Hand legt sich auf
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