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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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hält mich über den Abgrund. Am Rand meines Sichtfelds erscheinen Flecken, sie verdecken sein Gesicht, grüne, hellrote, blaue. Er sagt kein Wort. Ich will nach ihm treten, aber meine Beine sind zu kurz. Meine Lungen brennen wie Feuer.
    Da höre ich einen Ruf und plötzlich lässt Peter mich los.
    Im Fallen breite ich die Arme aus. Ich knalle gegen das Geländer und bleibe mit den Achseln hängen. Stöhnend versuche ich, diesen Halt nicht zu verlieren und mich auf die Ellbogen hochzustemmen. Die Gischt nebelt meine Füße ein. Die Welt um mich herum schwankt. Jemand liegt auf dem Boden und schreit. Es ist Drew.
    Ich höre dumpfe Schläge. Tritte. Lautes Stöhnen.
    Ich blinzle ein paarmal und versuche, das Gesicht, das vor mir auftaucht, zu erkennen. Es ist wutverzerrt. Die Augen sind tiefblau.
    » Four«, stoße ich hervor.
    Ich schließe die Augen. Seine Hände fassen unter meine Achseln. Er zieht mich übers Geländer und an seine Brust, nimmt mich hoch, schiebt mir einen Arm unter die Knie. Ich drücke mein Gesicht an seine Schulter und mit einem Mal ist es leer und still um mich.

22 . Kapitel
    Ich schlage die Augen auf und sehe als Erstes die Worte » Fürchte Gott allein« auf einer weißen Wand. Ich höre wieder das Geräusch von fließendem Wasser, aber diesmal kommt es von einem Wasserhahn und nicht aus der Schlucht. Sekunden verstreichen, bis ich klare Umrisse in meiner Umgebung wahrnehme– einen Türrahmen, eine Arbeitsplatte, eine Zimmerdecke.
    In meinem Kopf pocht es dumpf und auch meine Wangen und meine Rippen tun weh. Ich sollte lieber still liegen bleiben, wenn ich mich bewege, wird alles nur noch schlimmer. Ich liege auf einer blauen Patchworkdecke. Als ich den Kopf zur Seite drehe, um zu sehen, wo das Geräusch herkommt, stöhne ich auf vor Schmerz.
    Four steht im Bad und hält seine Hände in ein Waschbecken. Das Blut an seinen Fingerknöcheln färbt das Wasser hellrot. Er hat eine Wunde am Mundwinkel, aber sonst scheint er unverletzt zu sein. Gelassen betrachtet er seine Blessuren. Er dreht den Wasserhahn zu und trocknet sich mit einem Handtuch die Hände.
    Ich habe nur eine ganz schwache Erinnerung daran, wie ich hierhergekommen bin, es ist praktisch nur ein einziges Bild: schwarze Linien, die sich an einer Seite des Halses entlangschlängeln, der Teil eines Tattoos, und ein sanftes Schwanken, das nur bedeuten kann, dass er mich getragen hat.
    Er löscht das Licht im Bad und holt einen Eisbeutel aus dem Kühlschrank in der Zimmerecke. Als er auf mich zukommt, überlege ich, ob ich die Augen schließen und so tun soll, als schliefe ich noch, aber dann treffen sich unsere Blicke und es ist zu spät.
    » Deine Hände«, krächze ich heiser.
    » Zerbrich dir deswegen nicht den Kopf.« Er kniet sich auf die Matratze, beugt sich über mich und schiebt mir den Eisbeutel unter den Kopf. Bevor er wieder aufsteht, strecke ich die Hand aus, um die Platzwunde an seiner Lippe zu berühren, aber als mir bewusst wird, was ich vorhabe, halte ich mitten in der Bewegung inne.
    Was hast du schon zu verlieren?, fragt mich eine innere Stimme.
    Ich berühre seinen Mund sacht mit den Fingerspitzen.
    » Tris«, sagt er durch meine Finger, » es ist alles okay.«
    » Warum bist du dort gewesen?«, frage ich und lasse die Hand sinken.
    » Ich kam gerade aus dem Kontrollraum, als ich einen Schrei hörte.«
    » Was hast du mit ihnen angestellt?«
    » Drew habe ich vor einer halben Stunde in der Krankenstation abgeliefert«, sagt er. » Peter und Al sind abgehauen. Drew hat behauptet, sie wollten dir nur ein bisschen Angst einjagen. Wenigstens glaube ich, dass er das sagen wollte.«
    » Ist er übel zugerichtet?«
    » Er wird es überleben«, sagt er knapp. In bitterem Ton fügt er dann hinzu: » Wie, das kann ich dir nicht sagen.«
    Es ist unrecht, sich über anderer Leute Schmerz zu freuen, nur weil sie mir zuerst wehgetan haben. Aber bei dem Gedanken daran, dass Drew jetzt auf der Krankenstation liegt, verspüre ich ein siedend heißes Glücksgefühl und drücke Fours Arm.
    » Gut so.« Meine Stimme klingt grimmig. Die aufgestaute Wut macht mein Blut zu bitterem Wasser, füllt mich aus, zehrt mich auf. Ich möchte am liebsten etwas zerschmettern, auf etwas einschlagen, aber ich habe Angst, mich zu bewegen. Stattdessen fange ich an zu weinen.
    Four kauert sich neben das Bett. In seinen Augen ist keine Spur von Mitleid. Alles andere hätte mich auch enttäuscht. Er befreit sich aus meinem Griff, aber dann legt er zu

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