Die Besucher
ich Ihnen später erklären...«
Dann öffnete er erleichtert und voller Ehrfurcht die erste große Tür, die an das WC angrenzte, und erklärte weiter: »Die Fragen der Hygiene wollen wir vorläufig beiseite lassen. Hier bitte, das bescheidene Arbeitszimmer des Genies, wo ich selbst schlafen werde. Wie Sie sehen, nichts Überflüssiges. Ein Schreibtisch, ein Stuhl, das Bett, einige wissenschaftliche Bücher, Papier, Bleistift. Es ist geradezu rührend, daß genau hier die größte Entdeckung des vergangenen Jahrtausends gemacht wurde...«
Es war ein Arbeitszimmer, wie es im Lesebuch steht. Die Gardinen ließen nur ein gedämpftes Licht in den Raum fallen. Hier hätte Goethe in völliger Konzentration seinen Faust schreiben oder Einstein seine Relativitätstheorie ersinnen können. Die Besucher stoppten voller Ehrfurcht an der Schwelle. Nur Doktor Michell (nunmehr Michael Noll) hatte nach kurzem Zögern jene heilige Scheu überwunden, die ihn bisher genötigt hatte, auf Zehenspitzen zu gehen. Unter den strengen Blicken des fast kahlen Genies, dessen Ebenbild von einem Foto über dem Bücherschrank auf die unerwarteten Besucher herabblickte, wagte er es nun, eines der »wissenschaftlichen« Bücher zur Hand zu nehmen. Es war »Robur, der Eroberer« von Jules Verne. Hinter den Wörterbüchern versteckt, standen noch weitere Werke Vernes, wie zum Beispiel »Kapitän Nemo«, »20 000 Meilen unterm Meer«, »Die geheimnisvolle Insel«, und daneben »Zwei Jahre Ferien«.
»...Die größte Entdeckung, nämlich das Projekt des Zeitsprungs, der es uns ermöglicht, uns um fünfhundert Jahre zurückzuversetzen und dem jugendlichen Adam Bernau in jenem Augenblick zu begegnen, wenn dieses Haus in Flammen aufgeht, wobei auch das erste Heft seiner Aufzeichnungen verbrennt...« Der Akademiker machte eine dramatische Pause, genau wie während der Tagung des Weltrats, obwohl in diesem Augenblick schon jedes Kind die Aufgabe der Expedition Adam 84 kannte:»...allerdings...wird es diesmal nicht verbrennen...«
»Weil wir diesmal den Brand ein wenig auslöschen werden«, ergänzte Doktor Noll den Akademiker, da ihm seit der Begegnung mit »Robur, dem Eroberer« alles bereits sonnenklar war. »Das sollte kein Problem für uns sein.«
»Das besorge ich.« Karas tastete die Oberfläche der Wand ab und versuchte, die Dicke der Mauer abzuschätzen. »Zu diesem Zweck wird ein Antisalamander der Type EF-1 genügen. Schlimmstenfalls schafft es ein EF-3-Antisalamander. Ich, als Techniker der Expedition...«
»Sie werden für ganz andere Dinge zu sorgen haben...«, unterbrach ihn der Akademiker, denn er hatte bereits eine ganze Reihe schwieriger Verhandlungen mit dem Ausschuß für Verfassungsschutz hinter sich und ahnte daher, daß weitere und noch unangenehmere derartige Debatten ihn erwarteten. »Was dich nicht brennt, das lösch’ nicht! sagt eine alte Weisheit. Ein Antisalamander kommt nicht in Frage, erst recht kein EF3. Niemand von uns hat das Recht, in die Vergangenheit einzugreifen und sie zu verändern.«
»Wollen Sie damit vielleicht sagen, daß wir nur hinfahren, um zuzusehen, wie dieses Haus verbrennt?«
»Jawohl, wie es verbrennt. Gleich darauf wird es aber restauriert und erhält sein historisches Aussehen zurück, wie wir es heute kennen. Unsere Aufgabe lautet, unauffällig durch die Flammen zu schreiten und das blaue Heft mitzunehmen. Durch die >Erinnerungen< wissen wir ganz genau, daß dieses Heft zur Zeit des Brandes in diesem Raum, der ursprünglich als Kinderzimmer diente, unter dem dritten Fußbodenbrett links vom Fenster, das heißt also hier, versteckt war.« Der befrackte Akademiker kniete nieder, wobei ihm die silbernen Locken seiner Perücke in die Stirn fielen. Mit den Fingern löste er das wacklige dritte Brett links vom Fenster. »Wie Sie sicher wissen, benutzte Adam Bernau dieses naiv kindliche Versteck auch in späteren Jahren, sogar noch als Nobelpreisträger, und zwar für Schriftstücke, die weder der Öffentlichkeit noch seiner Gattin vor Augen kommen sollten, denn sie war, wie ebenfalls bekannt...« Was sie war, das sagte er lieber nicht.
Er verschloß das Versteck wieder, indem der das Brett darüberlegte und dieses mit einem verblaßten, in der Nähe des Verstecks abgenutzten Läufer bedeckte.
»Mit gewissen unbeglaubigten Histörchen wollen wir uns hier nicht aufhalten. Wen interessiert es denn, daß Einstein keine Socken trug? ln wissenschaftlicher Hinsicht sind doch nur seine
Weitere Kostenlose Bücher