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Die Besucher

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Titel: Die Besucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ota Hofman
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Aufgabe lautet, mit dem Auto die Landstraße zu erreichen und...«

    »Allerdings...« wiederholte nun auch Karas, indem er die Autotür öffnete, »ist diese Straße...nicht hier...«

    Im letzten Moment hatte er sich an dem rettenden Stamm der jungen Birke festgehalten, die aus einem Spalt zwischen dem Gestein emporwuchs. Niva VI geriet knarrend aus dem Gleichgewicht und neigte sich seitlich, da der Wagen mit dem Fahrgestell an der kleinen Fläche einer steilen Felsklippe hängengeblieben war. Die Vorderräder drehten sich hilflos über einer Schlucht in der Luft.

    »Abgesehen davon ist es hier wunderschön«, bemerkte Karas, nachdem er sich in der Gegend umgeschaut hatte. »Es gibt hier Blumen! Und Vögel!«

15. Das blaue Heft

    »Bernau, du Schafskopf!«

    Volltreffer! Ein Schlammgeschoß landete auf der Nase des künftigen Genies, ohne Adam aus der Fassung zu bringen. Übrigens hatte er von seiner Genialität noch keine Ahnung und hätte das Wort Genie vermutlich als Schimpfwort aufgefaßt. In der folgenden Keilerei schüttelte er zwei, je um einen Kopf größere Knaben von sich ab. Den dritten Angreifer kickte er vors Schienbein und flüchtete durch das Bachbett, um weiteren Schlammgeschossen zu entgehen.

    Nun hatte er schon einen rettenden Graben und die Reste einer zerfallenen Mauer erreicht. Adam kletterte hoch, indem er sich mit einer Hand an den Ziegelresten festhielt, während die andere die Fetzen seines zerrissenen Hemdes zusammenraffte. Ein Sprung in die Tiefe und ein Salto ins Klettengestrüpp. Er war glücklich, den Verfolgern entgangen zu sein, aber doppelt so glücklich, weil dort sie, die treue, ihn erwartete. Sie, das zarte, unschuldige kleine Mädchen Ali mit den blauen, besorgt dreinblickenden Augen.

    »Hast du dir wehgetan?«

    »Ach, nein...nur das Hemd«, entgegnete er, indem er das zerschlagene Knie ebenso übersah wie die klaffenden Sohlen seiner zerfetzten Tennisschuhe. »Aber das Heft haben sie nicht bekommen!«

    Er zog es unter dem Hemd hervor, um es zu trocknen. Auf den ersten Blick ein unscheinbares blaues Heft, aber Ali zog es an, weil es so geheimnisvoll war.

    »Was steht denn da drin, daß die andern es haben wollten?«

    »Geheime Berechnungen. Nichts für Mädchen...« Adam wich zurück und hob abwehrend die Hand. Er hatte verstanden, daß Ali dieses Heft mächtig interessierte.

    »Nur wenn...«

    »Nur wenn was?«

    »Nur wenn du...«

    »Ich?«

    »Was ist denn da dran? Die Jirásek gibt auch jedem ein Küßchen!«

    »Nein!«

    »Ja!«

    »Nein«, sagte Ali, jetzt bereits weniger entschieden. Gleich darauf schlug über ihr, Adam und seinem Heft das Gebüsch zusammen.

    »Ach, jene schönen Tage der Jugend!« schrieb fünfzig Jahre später der Nobelpreisträger Adam Bernau in seinen »Erinnerungen« (1. Band, Seite 36). »Jene Träume von großen Entdeckungen, die der gesamten Menschheit dienen sollten...«

    »Du bist anders als alle anderen Mädchen«, sagte er jetzt, als er an der Seite Alis auf dem Heimweg unter einem Eisenbahnviadukt hervorkam.

    »Auch als die Mládek?«

    »Auch als sie.«

    »Und die Jirásek?«

    »Ganz anders. Nicht so blöd.«

    »Ich komm’ aber nie mehr«, sagte Ali, ohne es ehrlich zu meinen. An ihrem Röckchen und Haar pickten zahllose Kletten. »Nie mehr! Außer...«

    »Außer was?«

    »Außer, du zerreißt dieses Heft...«

    »Von mir aus«, sagt Adam. Er breitete die Arme wie ein Seiltänzer aus, schritt vor der Ali rücklings auf dem Teichdamm entlang, riß dabei ein Blatt nach dem andern aus dem blauen Heft und warf es ins Wasser. »Also morgen. Wo?«

    Die losen Blätter flatterten im Wind. Zwei, drei landeten in den Kähnen zweier alter Angler namens Melichar und Hoblik, die reglos ihre Schwimmer beobachteten. Sie erwachten aus ihrer Erstarrung:

    »Morgen erwischen wir dich, Bernau, du Lausejunge! Denk’ bloß nicht, daß wir nicht wissen, wer dem Jouza seinen Kahn angebohrt hat!«

    »Wer? Ich?«

    Jedenfalls war es vernünftiger, jetzt davonzulaufen und in sicherer Entfernung einen Bogen um den Vater zu schlagen, der eben den Zaun anstrich. Das war zwar überflüssig, denn eine Stunde später sollte der Zaun ohnehin verbrennen, aber das konnte jetzt weder der Vater noch Adam ahnen. Adam schlüpfte durch ein Loch im Zaun, um ungesehen ins Haus zu gelangen und das zerrissene Hemd und das schicksalsschwere Heft unter dem dritten Bodenbrett am Fenster zu verbergen. Leider wurde er dabei durch das Gegacker der aufgescheuchten

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