Die Besucher
Autodach öffnen, um dem Traggestell mit den Theodoliten und Trassierstäben für die Vermessungsarbeiten im Gelände Platz zu machen. Das alles hätte sich allerdings bereits während der ersten Meter unserer Fahrt über den bisher noch nicht eröffneten Straßenabschnitt Sturmkoppe-Kamenice abspielen sollen, der jedoch nicht da ist...«
Es war wie in einem Alptraum. Das Dach des über der Felsklippe hängenden Autos öffnete sich mit einem metallischen Geräusch. Die Robotoren befestigten das Traggestell mit den Theodoliten und Trassierstäben am Autodach. Die Aktion »G« (G für Geometer) konnte beginnen. Es war höchste Zeit. In einer knappen Stunde sollte das Haus Adam Bernaus in Flammen aufgehen.
»Vielleicht könnten wir uns im Maulwurfsgang nach unten durchgraben?«
»Durch diese Felsen?«
Das Auto, dessen Dach wieder zugeklappt war, begann plötzlich zu schwanken und näherte sich um etliche Zentimeter gefährlich dem Abgrund, weil Katja eben auf den Rücksitz kroch. »Mein Kode ist im Auto! Und ein Schuh!«
»Was wollen Sie funken? Daß wir anderswo sind? Daß wir an einer Klippe hängen und nicht einmal wissen, in welchem Jahr wir sind?«
»Das stelle ich fest«, versprach Katja, die endlich ihren zweiten Schuh geangelt hatte. Hinkend begab sie sich ins Gelände, um Umschau zu halten. Jenseits der Birken öffnete sich eine Felsspalte, die einen Abstieg ermöglichte. Zwischen dem Gestein wuchsen gelbe und blaue Blüten, die Katja nicht kannte. Sie pflückte einige Blumen und steckte sie in ihren Blusenausschnitt, um sie Thomas als Gegengabe für seine Teichrosen mitzubringen. Dann klomm sie weiter hinab, wo bereits Knieholz wuchs, zog aber die Schuhe aus, weil sie sie beim Klettern behinderten. Zweimal wäre sie um ein Haar abgestürzt, weil sie zu spät nach einem Felsvorsprung gegriffen hatte. Dann hörte sie plötzlich, lauter als das Gepolter des fallenden Gerölls und Gesteins, die Stimme eines Mannes, den sie nicht sehen konnte:
»Halten Sie sich fest! Wie kommen Sie dort hinauf, mein Gott?«
»Von oben.«
»Aber woher? Und wie?« Der alte Mann, der mit der Aufsicht der Baumaschinen an dem unvollendeten Straßenabschnitt betraut war, verstand überhaupt nichts mehr. Dieses Mädchen, das jetzt auf dem Hintern ein Stückchen talwärts gerutscht war und sich an einem Latschenzweig festgeklammert hatte, bat den Alten nämlich seltsamerweise nicht um Hilfe, sondern fragte nur:
»Ist das die Straße von der Sturmkoppe nach Kamenice?«
»Das soll sie werden.« Er hielt seinen Hund zurück. »Später einmal.«
»Aber wann?«
»In einem Jahr.«
»Das ist...?«
»Im Mai...« Diese märchenhafte, schwarzhaarige Erscheinung in dem weißen Kleid, die hier den Felsen herabkraxelte, erinnerte zwar eher an einen aus einer Tanzschule davongelaufenen Teenager als an eine Ministerialkontrolle, aber der Platzwächter versuchte trotzdem, die Terminverzögerung des Straßenbauprojekts zu bemänteln: »Unerfüllte Planreste vom Vorjahr. Mangelnde Arbeitskräfte. Die Bergarbeiter arbeiten am Bau der U-Bahn in Prag. Halten Sie sich fest, zum Teufel nochmal!«
»Ich halte mich schon fest. Aber welches Jahr schreibt man?« Katja war es endlich gelungen, die Dokumentationsbrille aufzusetzen. In diese hatten die Techniker der Zukunft eine unauffällige Minikamera und ein Videogerät für Bild- und Tonaufzeichnung eingebaut. »Schreibt man das Jahr neunzehnhundertvierundachtzig?« »Es ist bald ein Viertel vor fünf«, teilte der Alte mit, denn er hatte endlich begriffen, daß er da oben in den Felsen eine Verrückte vor sich hatte. »Rühren Sie sich nicht!« Gefolgt von seinem Hund, stürzte er sich auf sein uraltes Fahrrad an der Bretterbude. »Ich bringe Hilfe! Es wird aber ein Weilchen dauern«, fügte er hinzu, als er bemerkte, daß beide Reifen fast ohne Luft waren. Seltsamerweise beruhigte gerade das Katja. Sie stellte ihre Dokumentationsbrille auf die aus der rückwärtigen Hosentasche des Alten herausragende Zeitung scharf ein, während er zwischen den Bulldozern und Scrapern eine verrostete Fahrradpumpe betätigte, aus der bei jedem zweiten oder dritten Zug der Kolben herausfiel.
Ü...
...ber...
Die Buchstaben hüpften vor Katjas Augen.
Aber sie entzifferte die Zeitungsüberschrift endlich doch:
...schwemmungen in Venedig.
Eine weitere Schlagzeile teilte mit, Europa habe einen heißen Sommer zu erwarten. Aber als Expeditionsmitglied freute sich Katja mehr über das Datum, das
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