Die Besucher
Waschbecken erschien wieder der schlafende Fido. Dann, in einer Einstellung des Auges 1, der Hotelgang. Er war leer.
»Still!«
»Was gibt’s?«
»Vor allem unauffällig!« flüsterte der Akademiker, dem es, ungeschickt, wie er war, gelungen war, unmittelbar hinter der Tür aus einer kleinen Schachtel winzige Korallen zu verschütten, die die Bild- und Tonaufzeichnungen für die Sendung darstellten. Jetzt mußte er sie mit Katjas Hilfe mühsam vom dünnen Kokosläufer zusammenlesen. »Wenn uns jemand begegnen sollte...wir gehen Luft schnappen...Eine prächtige Nacht...Mondschein...die Sterne...Es wäre schade, sie zu verschlafen...«
Die Rathausuhr in der Ferne schlug halb eins. Die Treppe zum Erdgeschoß knarrte. Irgendwo in den Toiletten fielen in regelmäßigen Abständen Wassertropfen. In der Küche surrte der Kühlschrank.
Das Hotel schlief.
»Bisher sind wir großartig!« lobte der Professor, der sich als erster am Empfang vorbei an das Fenster herangeschlichen hatte, aus dem man den ganzen Hof übersah. »Niemand weiß etwas...«
Doch selbst wenn jemand etwas gewußt hätte, wäre das egal gewesen. Sie saßen nämlich in der Falle, denn alle Fenster im Erdgeschoß waren vergittert. Mit einem Gitter versehen war auch die Eingangstür des Hotels. Darüber hinaus war sie noch mit einem schweren Sperrbalken gesichert. Karas versuchte, ihn anzuheben. Er gab nach, aber das Schloß rührte sich nicht.
»Vielleicht mit der Säge...?«
»Unsinn!«
Auch die Tür des Speisesaals, ebenso wie die zum Vorratslager führende Tür und das zum Hof führende Seitenpförtchen waren verschlossen. Gerade hinter diesem erwartete sie der Niva VI mit seinen auf die Zukunft eingepeilten Geheimantennen. Vergeblich rüttelte Katja an der Klinke. Dann strahlte sie plötzlich übers ganze Gesicht. Im Schloß der Hofpforte steckte nämlich von innen der Schlüssel. Man mußte ihn daher nur im Schloß drehen und...
»Jetzt still!«
»Die Autotüren! Die Antennen!«
Vier Schatten schlichen in gebückter Haltung zwischen den Kisten und leeren Bierfässern über den Hof. Drei von ihnen verschwanden im Inneren des Niva VI, während der vierte Schatten, in einem genau eingedrillten Zusammenspiel, das rote Warndreieck aus dem Kofferraum holte, um es vor die Scheinwerfer zu stellen.
»Das ist...was?« fragte Philipp.
»Unser LC 3«, erklärte Karas dem Akademiker, der mit seinen Korallen im Auto eher hinderlich als behilflich war. »Es dient der Verstärkung und Gleichrichtung des Signals von A und B.«
»Aha!«
A und B waren offenbar die Antennen, die sich jetzt mit einem leisen Knacken aus den Scheibenwischern herausschoben. Eine dritte Antenne wippte über dem Autodach.
»Eingeschaltet?«
»Eingeschaltet!«
»Die Zeit?«
»Null Uhr sechsundfünfzig, zwanzig Sekunden...«
»Anglühen!«
»Es ist angeglüht!«
Der Niva VI glich jetzt eher einem fahrbaren Labor als dem Inneren eines Autos. Die Polsterung der Seitentüren war zurückgeklappt. Im Halbdunkel flackerten grüne, gelbe und blaue Lichter auf und erloschen wieder. Auf den Anzeigetafeln des Armaturenbrettes huschten Zahlen vorbei. Katja steckte die Korallen mit den Aufzeichnungen in winzige Öffnungen. Sobald der rote Knopf gedrückt wurde, sollten sie mit einer vielfach erhöhten Frequenzgeschwindigkeit in die Dechiffrierabteilung des ZD ausgestrahlt werden. Eine Minute vor Sendebeginn begann der unterbrochene Ton des Countdown.
»Bild- und Tonaufzeichnung eingelegt. Kontrolle eins...« »Kontrolle eins...«
Die Spannung wuchs. Auch der Akademiker wurde unruhig.
»Die Losung?...Hoffnung...oder Besucher?«
»Besucher!!! Abwarten, bis das Empfangssignal ertönt! Drei fallende und steigende Töne!«
»Noch fünf Sekunden! Scheinwerfer einschalten!«
Ein blendendes Licht überflutete den Hotelhof. Der Doktor, der an dem in Glut geratenen Dreieck stand, hielt instinktiv die Hand vor die Augen. Drei fallende und steigende Töne zerrissen die Stille der Nacht.
»Die Besucher rufen ZD! Es meldet sich die Expedition Adam 84 mit einer guten Nachricht: Die Aktion wird fortgesetzt! Wir leben! Grüße an alle!« Der Akademiker wischte sich den Schweiß von der Stirn. Im Bewußtsein dieses einzigartigen, unwiederholbaren Augenblicks klang seine Stimme fremd und beengt. »Genügt das? War es nicht zu lang?«
»Es genügt.« Auch Katja atmete erlöst auf. »Zwölf Sekunden. Wir schalten jetzt die Aufzeichnung ein!«
Die bunten Korallen
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