Die Beute
vom Gras durchnässt, das vom Unwetter noch immer wassergetränkt und viel zu dicht war, um Reifenspuren zu zeigen. Falls es welche gegeben hatte, waren sie vom Regen weggespült worden.
Als sie ihren Rundgang beendet hatte, stellte sie sich neben den Wagen, stemmte die Hände in die Hüften und blickte zum Hügelkamm und auf die Straße. Die Männer hatten letzte Nacht von einem Campinglager auf der anderen Seite gesprochen. Ob das stimmte?
Das Gelände wirkte jetzt nicht mehr so angsteinflößend und isoliert wie noch am Abend zuvor. Im hellen Tageslicht erschien es eher offen und gepflegt. Es war ruhig hier, nur vereinzelt war das Piepen irgendwelcher Vögel zu hören. Sie wollte herausfinden, was sich hinter dem Hügelkamm verbarg.
Sie joggte die Zufahrt entlang. Die einspurige, unbefestigte Straße führte nach links den Hang hinunter und verschwand hinter einer Bodenwelle. Die andere Seite fiel steil zum Tal hinab.
Ihr war wärmer geworden, also lief sie ein wenig schneller an der Straße vorbei und noch ein paar hundert Meter weiter und spähte dann ins Tal hinunter. Im Busch wuchsen ein paar Gummibäume, sie blieb kurz stehen und suchte nach irgendwelchen Hinweisen auf einen Campingplatz. Vielleicht waren die beiden Männer aber auch wegen des Regens aufgebrochen, dachte sie. Vielleicht hatten sie aber auch gelogen.
Sie eilte auf demselben Weg zurück, und langsam wich ihre Anspannung. Hier draußen war es gar nicht so gruselig, wie sie gestern angenommen hatte. Und falls die Männer doch hinter dem Hügel gecampt hatten, waren sie jetzt verschwunden. Sie blieb oben auf der Zufahrt stehen, holte ihr Handy heraus, schob es auf und lächelte wie immer, wenn sie das Foto der neunjährigen Isabelle und ihres sechsjährigen Bruders Adam auf dem Display sah, die sie in einer großen Umarmung festhielten. Sie sah auf die Uhr. Adam hatte heute früh ein Fußballspiel. Vermutlich wärmte er sich gerade auf, als wäre er Beckham, während Isabelle ihm sicher noch letzte Anweisungen gab. Jodie lächelte. Sie wollte die kurze, kinderfreie Zeit hier genießen, trotzdem fehlten sie ihr ein wenig.
Sie überprüfte die Anzeige, doch selbst hier hatte sie keinen Empfang. Von ihrem Standort aus glich die Kuppe des Hügels der Tonsur eines Mönchs – kahl und nur von dickem, struppigem Buschland umgeben. Sie drehte sich um und blickte wieder zur Straße und dann zu der Zufahrt. Sie war noch nicht so weit, dass sie sich mit den anderen an den Frühstückstisch setzen konnte. Das Laufen hatte ihr gutgetan. Das war immer so. Laufen hatte sie auch wieder auf die Beine gebracht, als sie noch täglich Flashbacks hatte, und ihr das Gefühl von Kontrolle und Stärke zurückgegeben. Und genau das brauchte sie auch jetzt.
Eine Dreiviertelstunde lief sie die asphaltierte Straße am Fuße des Hügels entlang – das war nicht so lange wie sonst, aber dennoch ein gutes Training – und dachte an ihren letzten Flashback. Den hatte sie vor vier Jahren gehabt, nachdem Isabelle vom Rad gefallen war und Jodie sie blutend und heulend ins Krankenhaus gebracht hatte. Sie hatte vor dem Röntgenraum gewartet, und dabei waren ihr die schrecklichen Bilder von jener Nacht mit Angie durch den Kopf gegangen. Als man Isabelle herausfuhr, hatte Jodie zitternd im Warteraum auf dem Boden gekauert. Eine ganze Woche war sie jede Nacht aus ihren Träumen aufgeschreckt. Danach hatten sie einfach aufgehört.
Sie bog auf die unasphaltierte Zufahrtsstraße ein und holte wieder ihr Handy heraus. Es zeigte einen einwandfreien Empfang an, doch ein halbes Dutzend Schritte den Hügel hinauf war das wieder vorbei. Sie lief die niedrigere Hälfte der Steigung entlang, keuchte und spürte den Schmerz in ihren Oberschenkeln. Als sie die Bodenwelle erreicht hatte, kontrollierte sie erneut ihr Handy. Kein Empfang. Offensichtlich mussten sie die Straße hinunterfahren, wenn sie heute Abend ihre Familien anrufen wollten.
Sie atmete ein paar Mal tief durch und lief die letzte Steigung hinauf. Dann hörte sie ein Geräusch, und sie bekam eine Gänsehaut – es war wieder das tiefe Brummen eines Motors.
12
Matt hörte die Schüsse und öffnete die Augen. Nur langsam erkannte er die Zimmerdecke über sich, er wischte sich mit einer Hand über die Stirn. Herrgott, wann hörte das endlich auf? Er ließ seine Hand auf die Sofalehne sinken und verschob umständlich die Zierkissen, um es sich bequemer zu machen. Kleine Füße tapsten den Gang entlang, und kurz darauf
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