Die Bibliothek des Zaren
auf.
»Warum haben Sie der Kommission nichts von Ihrem Fund erzählt?«
Bolotnikow wurde verlegen.
»Diesem Haufen von halb verrückten Enthusiasten und bestechlichen Ignoranten? Nein, mit denen wollte ich nichts zu tun haben. Ich . . . Warum soll ich es verschweigen? Ich habe in diesem Fund eine Chance gesehen. Die große Chance, von der jeder Historiker träumt. Nämlich, eine Entdeckung zu machen, die über die Jahrhunderte bestehen bleibt.« Während er das sagte, bekamen seine Augen einen leidenschaftlichen Glanz. »Zu beweisen, dass die Bibliothek Iwans des Schrecklichen existiert hat! Und das schlüssig und unumstößlich! Belokurow, Sabelin und alle anderen Klassiker zu widerlegen! Aber dafür brauchte es Zeit, viel Zeit und Arbeit. Ich musste eine Beweiskette aufstellen. Und das ist mir auch geglückt!«
Maxim Eduardowitsch beugte sich erregt nach vorne. Er sah nicht mehr bleich und geduckt aus, ganz im Gegenteil: Sein Gesicht war rot angelaufen, er gestikulierte, und die jungen Männer vor dem Fenster hatten aufgehört, ihn zu interessieren.
»Artamon Matfejew, dachte ich. Das drängt sich doch geradezu auf. Ein Büchernarr, der engste Vertraute des Zaren Alexej Michailowitsch, einer, der in alle Palastgeheimnisse eingeweiht war. Wer, wenn nicht er, sollte wissen, wo die Schatzkammer mit den Büchern war? Als er 1676 ahnte, dass er unweigerlich in Ungnade fallen und in die Verbannung geschickt werden würde, versteckte er die Liberey an einer Stelle, die nur er kannte. 1682, nach dem Tod des Zaren Fjodor Alexejewitsch, als der Bojar in die Hauptstadt zurückkehren durfte, hat er es nicht geschafft, zu seinem Versteck zu gelangen, weil er am 15. Mai, drei Tage nach seiner Ankunft, von den aufständischen Strelitzen zerfleischt wurde. Alles passte zusammen! Die Suche nach Beweisen für diese Version wurde zum wichtigsten Vorhaben meines Lebens. Wenn Sie wollen, zu einer Obsession. Was soll ich in Stanford, zum Teufel! Für alle Schätze von Fort Knox würde ich Moskau nicht verlassen!« Bolotnikow lachte kurz auf und redete weiter. »Ich habe drei früher unbekannte Autografen des Bojaren gefunden und dafür die kleine Goldmedaille der Gesellschaft für historische Archive bekommen, aber ›kleine‹ Medaillen interessieren mich nicht – ich musste die Handschrift vergleichen. Sie war leider gar nicht ähnlich! Ich war am Rande der Verzweiflung. Mir wurde klar, dass der Brief von einem der Matfejew nahe stehenden Männer stammen musste, die mit dem Bojaren zusammen in Infernograd waren, bevor er zurückkehren durfte. Aber ›einer der Matfejew nahe stehenden Männer‹, das ist kein Beweis; um zu überzeugen, brauchte ich den Namen des Mannes. Leider habe ich, so viel ich auch suchte, keine glaubwürdigen Informationen darüber finden können, wer zu jener Zeit im Gefolge von Artamon Sergejewitsch war. Ich wollte schon kapitulieren und das bisschen, das ich hatte klären können, veröffentlichen. Das wäre trotzdem eine Sensation gewesen, wenn auch nicht von der Dimension, wie ich sie mir erträumt hatte. Und da erschien auf einmal Ihr Artikel in der englischen Zeitschrift!«
In den Augen des Archivars leuchtete das Feuer heiligen Entdeckerwahnsinns, den Nicholas selbst nur allzu gut kannte. Der Magister ließ sich gegen seinen Willen von Bolotnikows Erregung anstecken. Die Geheimnisse der Zeit sind eine starke Droge. Wer einmal in ihren Genuss gekommen ist, wird ein wenig verrückt danach.
»Der Name des Briefschreibers war ermittelt! Hauptmann von Dorn, von dem bekannt ist, dass er in Artamon Sergejewitschs Diensten stand, und der vermutlich in dessen Geheimnisse eingeweiht war. Und nicht nur das: Der Fund der zweiten Hälfte des Schriftstücks eröffnete eine Chance, auf die ich noch nicht einmal zu hoffen gewagt hatte.« Bei diesen Worten bekam Maxim Eduardowitsch Bolotnikow Stielaugen und fing an zu flüstern: »Die Liberey zu finden! Was ist Matfejew, was sind meine Beweise dagegen? Die Bibliothek selbst zu finden – egal, in welchem Zustand sie ist. Ob halb verfault oder rettungslos verschimmelt – das ist alles egal! Aber vielleicht ist sie auch unversehrt, zumindest in Teilen. Schließlich verstand Matfejew etwas von Büchern und hätte, bevor er Moskau für wer weiß wie viele Jahre oder vielleicht auch für immer verließ, die kostbaren Manuskripte nicht an einem feuchten Ort versteckt. Können . . . können Sie sich vorstellen, was das für eine Entdeckung wäre?« Nach dieser langen
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