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Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees

Titel: Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Monk Kidd
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Kohlenstoff, Sauerstoff und Mineralien besteht - etwas Langweiligeres kann man sich ja wohl kaum vorstellen. Ich fing an, mir eine Welt voller unsichtbarer Marien auszumalen, die überall mit ihren verborgenen roten Herzen herumsitzen, damit die Leute sie anfassen und berühren konnten, wenn sie sie nur erkennen würden.
    Augusta stellte die Gläser, die sie schon beklebt hatte, in einen Karton und setzte ihn auf den Boden, dann holte sie weitere Gläser. »Ich versuche ja bloß, dir zu erklären, warum die Leute mit so viel Obacht mit Unserer Lieben Frau der Ketten umgegangen sind, warum sie von einer Generation zur nächsten weiter vererbt wurde. Wir können nur vermuten, dass sie irgendwann nach dem Bürgerkrieg dann in den Besitz der Familie meiner Großmutter kam.
    Früher dann, als ich jünger war als du jetzt, blieben June, ich, May - und April, sie lebte damals ja noch - den Sommer über immer bei unserer Großmutter. Wir saßen zu ihren Füßen auf dem Teppich im Salon, und Big Mama - so nannten wir Großmutter - erzählte uns die Geschichte. Und jedes Mal, wenn sie damit fertig war, sage May: ›Big Mama, erzähl es uns noch einmal.‹ Und dann fing sie wieder von vorne an. Glaub mir, wenn du meine Brust mit einem Stethoskop abhören würdest, du würdest diese Geschichte hören, immer und immer wieder, mit der Stimme von Big Mama.«
    Was Augusta da erzählte, hatte mich so gefesselt, dass ich aufhörte, meine Etiketten anzufeuchten. Ich wünschte mir, so eine Geschichte hätte ich auch, eine, die so lebendig in mir tönen würde, dass man sie mit einem Stethoskop hören konnte, und nicht so eine Geschichte, wie ich sie in mir herumtrug und die davon handelte, wie ich das Leben meiner Mutter beendet hatte und damit gewissermaßen auch mein eigenes.
    »Du kannst auch gleichzeitig Etiketten nass machen und dabei weiter zuhören«, sagte Augusta und lächelte. »Also, als Big Mama starb, ging Unsere Liebe Frau der Ketten an meine Mutter über. Sie stand im Schlafzimmer meiner Eltern. Meinem Vater gefiel nun ganz und gar nicht, dass die Statue dort war. Er wäre sie gerne losgeworden, aber Mutter sagte immer: ›Wenn sie geht, gehe ich auch.‹ Ich glaube, die Statue war der eigentliche Grund, warum meine Mutter Katholikin wurde, denn so konnte sie vor ihr knien, ohne das Gefühl zu haben, etwas Merkwürdiges zu tun. Oft kamen wir ins Zimmer und sahen, wie sie mit Unserer Lieben Frau sprach, gerade so, als wären sie Nachbarinnen, die beim Tee zusammensitzen. Mutter neckte Unsere Liebe Frau sogar; ich hörte sie oft sagen: ›Weißt du was? Du hättest besser eine Tochter bekommen sollen. ‹«
    Augusta stellte das Glas, das sie gerade beklebte, ab. In ihrem Gesicht lag eine Mischung aus Trauer und Belustigung und Sehnsucht, und ich dachte bei mir: Sie vermisst ihre Mutter.
    Als sie das Glas wieder in die Hand nahm, fragte ich: »Bist du denn hier aufgewachsen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber meine Mutter. Hier habe ich die Sommer verbracht«, sagte sie. »Dieses Haus gehörte meinen Großeltern, und das ganze Grundstück dazu. Big Mama hielt auch Bienen, und ihre Stöcke standen genau an der gleichen Stelle, wo meine heute stehen. Vor ihr hatte niemand je zuvor eine Bienenhüterin gesehen. Aber sie sagte immer, dass Frauen einfach die besseren Imkerinnen seien, weil ihnen die besondere Fähigkeit angeboren sei, Kreaturen zu lieben, die ihnen wehtun. ›Das kommt nämlich daher, dass wir schon seit ewigen Generationen unsere Kinder und Ehemänner lieben müssen‹, sagte sie immer.« Augusta lachte, und ich stimmte in dieses Lachen ein.
    »Und hat Big Mama dir beigebracht, wie man Bienen hält?«
    Augusta nahm ihre Brille ab und putzte sie mit dem Schal an ihrer Taille. »Sie hat mir so viel mehr noch über Bienen beigebracht. Eine Bienengeschichte nach der anderen hat sie mir erzählt.«
    Ich sah auf. »Erzähl du mir eine.«
    Augusta rieb sich mit dem Finger die Stirn, so als ob sie versuchte, eine aus einem Regal weit hinten in ihrem Gedächtnis hervorzukramen. Dann hellten sich ihre Augen auf, und sie sagte: »Gut. Eines Tages erzählte mir Big Mama, wie sie am Weihnachtsabend zu den Stöcken ging und hörte, wie die Bienen die Weihnachtsgeschichte sangen, Wort für Wort aus dem Evangelium des Lukas.« Augusta fing an zu singen, aber eigentlich summte sie eher: »Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.«
    Ich kicherte. »Glaubst du das

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