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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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löste sich aus der Umarmung Eolos und schlug das über dem Knie zerrissene Gewand hoch; auf der Haut ihres Oberschenkels gewahrte sie lediglich eine feine, kaum sichtbare Schramme.
    »Es ist nichts«, murmelte sie, dann erkundigte sie sich besorgt: »Und du? Bist du unverletzt geblieben?«
    Während sie die Frage stellte, las sie in seinen Augen, wie es um ihn stand. Sie erkannte seine kaum noch bezähmbare Sehnsucht; in einer jähen Aufwallung war sie versucht, ihm zu schenken, was er sich so sehr wünschte. Er hat sich über mich geworfen, als die Legionäre auf uns schossen, durchfuhr es sie. Mein Leben bedeutete ihm mehr als sein eigenes …
    Aber eben als sie dies dachte, schlug er die Lider nieder, wandte sich halb ab und sagte mit spröder Stimme: »Wir müssen weg von hier! Irgendwohin, wo wir unbeobachtet ein Feuer machen und unsere Sachen trocknen können.«
    Branwyn nickte; damit war der Moment, in dem es hätte geschehen können, vorbei. Als erste drang sie ins Unterholz ein, und ohne ein weiteres Wort folgte ihr Eolo.
    ***
    Für die Strecke vom Severn nach Aquae Sulis benötigten sie sieben Tage, obwohl der Barde ursprünglich höchstens fünf dafür veranschlagt hatte. Der Grund dafür lag in der extremen Vorsicht, die sie nunmehr beachteten. Sie wanderten die ganze Zeit über abseits der gepflasterten Römerstraße, die von Glevum nach Süden verlief, nahmen lieber eine Reihe von Umwegen in Kauf und vermieden es auf diese Weise, noch einmal mit Soldaten zusammenzutreffen.
    Von der Randhöhe eines Talkessels aus blickten sie zuletzt auf Aquae Sulis hinunter. Die vielen hundert Steinhäuser standen entlang der mehrfach terrassierten Hänge im Rund um eine Reihe größerer Gebäude, unter denen eine ausgedehnte tempelartige Anlage besonders auffiel. »Dort befinden sich die Becken, die aus den heißen Quellen dieses Tales gespeist werden«, erläuterte Eolo. »Ihr Wasser vermag zahlreiche Gebrechen zu heilen, und schon lange vor der Eroberung Britanniens nutzten die Beiger und die ihnen benachbarten Stämme seine Kraft. Heute freilich sind die Thermen einzig den Römern vorbehalten. Eifersüchtig wachen sie darüber, daß kein Kelte sie betritt, obwohl selbst ihre Bezeichnung der Stadt nach wie vor den Namen unserer Erd- und Quellgöttin Sul enthält.«
    »Sul, die wiederum eine Erscheinungsform der Großen Göttin ist!« Ehrfurcht schwang in Branwyns Worten mit; sie hätte sich gewünscht, dem Platz, an dem das Wesen der Gottheit in Erscheinung trat, einen Besuch abstatten zu dürfen. Doch dann tröstete sie sich damit, daß sie in Bälde einen anderen und noch sehr viel heiligeren Ort erreichen würden: Avalon, das niemals vom römischen Ungeist besudelt worden war und jetzt nur noch wenige Tagesmärsche entfernt lag.
    Durch sanft gewelltes Hügelland wanderten sie nunmehr in südwestlicher Richtung. Anfangs sahen sie gelegentlich noch einzeln stehende Gehöfte, deren Strohdächer über Bodenfalten oder Hecken lugten. Später wirkte die Gegend immer verlassener; der einzige Mensch, dem sie am dritten Tag begegneten, war ein betagter Schäfer, der seine Herde am Rand eines Moores grasen ließ. Er lud sie ein, die Nacht bei seiner Hürde zu verbringen, wo er Milch und Käse mit ihnen teilte. Am folgenden Morgen beschrieb ihnen der graubärtige Mann den Weg, den sie nehmen mußten, und schaute ihnen, auf seinen Krummstab gestützt, lange nach.
    Im Lauf des Vormittags dann senkten sich die Ausläufer des letzten flachen Bergrückens in eine Ebene ab, die bis zum Horizont von Hochnebel bedeckt war. Branwyn und der Barde folgten einem Bachlauf, der sie durch die treibenden Schwaden führte. Einmal, gegen Mittag, glaubte die junge Frau, in der Ferne eine kaum greifbare Erscheinung über dem silbergrauen Fluten auftauchen und wieder verschwinden zu sehen: eine Kontur, die sie unwillkürlich an die Ynys Vytrin erinnerte. Am späten Nachmittag schließlich riß der Nebel plötzlich auf; wie gebannt blieben Branwyn und Eolo stehen und blickten auf das schier andersweltliche Bild, das sich ihnen darbot.
    In weiches Licht getaucht, lag der See von Avalon vor ihnen; purpurn und violett leuchtete das Heidekraut, welches die Ufer säumte. In der Mitte des stillen Gewässers erhob sich die Ynys Avallach. Drei Kuppen überhöhten das Eiland, und auf dem höchsten Hügel, der gleich einer weiblichen Brust geformt war, ragte, von einer zarten rotgoldenen Aureole umgeben, ein Menhir empor.
     

Zweites Buch Avallach
Die

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